Der Hund von Oberwalchen

Unweit von Walchen liegt die Kinzacheralpe. Sie gehörte lange Zeit zum Besitzstand der Kirchbäuerin von Schwaz. Noch vor ihren Lebzeiten erzählte man sich - und die Geschichte ist lebendig geblieben bis auf unsere Tage -, Obwalchen beherberge einen Almputz, einen großen, schwarzen Hund, der nächtlicherweile mit glühenden Augen die Gemarkung der Alm abläuft, hin und wider sich wie zur Rast vor die Käser legt, alsbald jedoch seinen gespenstischen Lauf von neuem beginnt, als war es ihm verwehrt, seine alten Knochen auszuruhen. In Mondscheinnächten soll er das ganze Jahr zu sehen sein, tue übrigens niemand etwas zuleide, ja er lasse sogar Senner und Sennerin ungeschoren über sich hinwegsteigen, wenn er lang hingestreckt vor der Kasertüre liege. Freilich, ein gutes Gewissen muß haben, wer seine Nähe nicht zu scheuen braucht.

Der Putz von Obwalchen soll ehemals, bevor sein verfluchtes Hundeleben angehoben, der Eigentümer der Alm gewesen sein, doch wird behauptet, was von Rechts wegen sein Eigen war, so viel hätte das nicht ausgemacht, und dazugekauft oder dazugeerbt habe er sein Lebtag lang auch nichts. Ein habgieriger Mensch sei er gewesen, habe am überkommenen Besitz nie genug gefunden, sondern Tag und Nacht darnach getrachtet, seine Umzäunung Stück für Stück auf nachbarlichen Grund und Boden hinauszusetzen. Vom landesfürstlichen Wald habe er bald da ein Eck, bald dort eine Enge umgehauen und so nach und nach manches Joch Boden seiner Alm zugeschlagen; und nicht genug damit, auch von der Deuringeralm, besonders gegen den Hochleger zu, habe er sich im Laufe der Zeit sündhaft viel Weideland anzueignen gewußt. Und keinem Anlieger soll es je geglückt sein, den Frevler des Grundraubes zu überführen.

Bei seinem Tode aber hat ihn die Strafe ereilt: von seiner letzten Lagerstatt weg hat seine Seele in Hundegestalt hinausmüssen ins zusammengestohlene Land, und da läuft sie nun die versetzten Grenzen auf und ab, unerlöst bis auf den heutigen Tag.

Hundskopf, Karwendelgebirge © Berit Mrugalska
In Wattens kennt man noch eine andere Hundegestalt, den Hundskopf (Karwendelgebirge)
© Berit Mrugalska, 27. Januar 2005

 

(Aus Alpenburgs Mythen und Sagen.
In der gesetzten Fassung Schulkindern nacherzählt).

Quelle: Sagen aus Wattens und Umgebung; gesammelt von den Schulkindern in Wattens und Wattenberg. In: Wattener Buch, Beiträge zur Heimatkunde von Wattens, Wattenberg und Vögelsberg. Schlern-Schriften 165, Innsbruck 1958. S. 309 - 326.