DER FREIRIEDER
(Niedergeschrieben von Georg Opperer)

Landläufige Sprüche bilden häufig, wenn dem Ursprung derselben nachgegangen wird, den Schlüssel zu einem erloschenen Brauche oder einer Sage.

Der Leute allerdings nicht mehr landläufige Spruch "Der lebt wie der Freirieder" oder "wie ein Freirieder", welcher unter den Alten gang und gebe war, als unsere Generation noch in den Kinderschuhen steckte, führte auf eine Sage zurück, die den abenteuerlichen Gerüchten des Zeitlaufes nach dem Bauernkrieg in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts entsprang.

Zwei Nachzügler aus der Besatzung des Schlosses Itter, das damals in Schutt und Trümmer gelegt wurde, der Torwicht Veit und ein Kurier, die dem Schicksal der Vernichtung oder Gefangennahme entgingen, trieben sich, als der Kriegslärm verhallt war, schmarotzend herum. Bald suchten sie im verlassenen und verfallenen Gemäuer des "Hauserschlößl" (Wehrburg) Unterschlupf, bald in den Ruinen des Schloß Itter.

Der Torwicht setzte sich schließlich ganz in den Kellerräumen auf Itter fest und fristete sein Leben nach Einsiedlerart mit Betteln und Herstellung von Heiltränklein, die er aus Wurzeln und Kräutern zu brauen verstand. Der Kurier a.D. verlegt sich auf Abenteuer; stahl Vieh von der Weide und suchte unter allerlei Vorwänden Gastfreundschaft auf den umliegenden Höfen. Die Nachrede, nichts zu besitzen und doch zu leben, brachte ihm den Namen Freirieder ein. Daher die Anspielung "Der lebt wie ein Freirieder", für einen, der sich ohne Beruf und Besitz fortzubringen wußte. Freirieder spielte aber noch eine Rolle: Die des Buhlers.

Auf einem nächst dem Hauserschlößl gelegene Hof hauste eine Bäuerin, die nicht in ihr Metier zu passen schien. Man nannte sie auch nie, wie sonst üblich, beim Hofnamen, sondern Frau Zieglerin. Sie wurde einst, auf der Durchreise hier, weil sie erkrankt war, abgesetzt. Man lernte sie damals als Frau Zieglerin kennen. Genesen, setzte ihr ein junger Hofbesitzer mit eifriger Werbung zu und sie wurde sein Weib, obwohl sie nichts von einer Bäuerin an sich hatte. Sie war auch nicht glücklich, zumindest nicht zufrieden. An diese machte sich der Freirieder heran und sie fand augenblicklich an seiner Aufmerksamkeit Gefallen. Die Zieglerin schien aber darauf zu sein, weß' Art und Weges ihr Verehrer sei, welch peinlicher Nachfrage der Freirieder gern durch den Eindruck eines reichen Herrn, den er zu machen bemühte, ausgewichen wäre.

In dieser Not begab er sich zu seinem ehemaligen Kumpan auf Schloß Itter. Die heutige Brixentaler Ache, die den Schloßberg umspült, zog zur selben Zeit in vielen kleinen Bächlein, die trockenes Fußes zu überschreiten waren, über das aufgelagerte Geröll talauswärts. Es war daher vom Hauserschlößl zum Schloß Itter ein kurzer Weg. Dem Torwicht teilte sich der Freirieder rückhaltlos mit. Dieser wußte keinen Ausweg, um Geld zu bekommen, aber in seiner Einsiedelei war der darauf gekommen, daß ein Geist umgehe, der einen Schatz hüte; denn er konnte allnächtlich ein Geräusch hören, das aus einem der vielen unterirdischen Gelasse drang und wie das Herumtollen von Münzen auf einen steinernen Tisch tönte. Der Freirieder wollte es wagen, in das geheimnisvolle Gelaß einzudringen. Er ging gleich in der ersten Nacht daran. Als um Mitternacht das Klimpern begann, stieß er mit einem Hebebaum die Tür ein, es bot sich ihm ein überraschender Anblick. An einem Tisch bei wahren Stößen von Gold und Silbermünzen saß ein Ritter im Festkleid, der nun ängstlich das viele Gold mit seinen Armen zudecken versuchte. Der Freirieder erstarrte wohl das Blut in seinen Adern, er trat dennoch auf den Ritter zu und fuhr in an:

"Was willst du mit dem Geld, alter Sünder? Gehörst doch längst unter den Wasen!" Der Ritter zerfiel in Staub und der Freirieder wollte, trotzdem ihm der Graus in allen Gliedern steckte, sich auf den Schatz stürzen; aber da trat eine andere Gestalt auf. Der Teufel. Er schob den Freirieder auf die Seite und deckte mit einer unheimlich großen Hand den ganzen Tisch zu. Zum Freirieder sagte er:

"Du hast für meinen Reisigen das richtige Wort gefunden, wodurch er zu seiner Ruhe, mir aber aus den Klauen kam. Wenn du mir mit deiner Seele dafür Ersatz bietest, ist der Schatz dein - anders nicht ! "

Seine Seele wollte der Freirieder nicht verschreiben, den Schatz wollte er aber haben. Er machte den Teufel den Vorschlag, ihm statt seiner eigenen hundert andere Seelen zu bringen. Er möge ihm nur sagen, wie er dies auf eine ihm gefällige Art machen soll. Der Teufel war mit dem Tausch einverstanden und riet dem Freirieder, es mit dem Verführen von Weibern zu versuchen oder Behinderung der Aussegnung der Seelen bei Sterbenden. Die hundert Seelen müsse er ihm zubringen, wenn nicht bei Lebzeiten, so nach dem Tod, und möge er dazu bis zum jüngsten Tag dazu brauchen, wenn er nicht früher auf einen Mutigen stoße, der seinem Spuk widerstehen vermöge. Nun sah sich der Freirieder am Ziele. Der Pakt mit dem Teufel bereitete ihm keine Sorge. Dem Veit machte er Vorwürfe, daß er ihn so genarrt habe. Er hätte die halbe Nacht umsonst gepaßt. Damit erledigte er sich mit Erfolg eines lästigen Mitwissers.

Einige Tage später traf er hoch zu Roß, fein ausstaffiert vor dem Hof die Zieglerin ein. Diese zeigte sich angenehm überrascht und als er ihr dann seine herzinnigliche Zuneigung gestand und sie einlud, ihm eine Stunde in sein Haus zu folgen widerstand sie nicht. Er dürfte sie dann und wann am Weg vor dem Hauserschlößl erwarten. Geblendet von der Umschmeichelung des Freirieders machte sich die Zieglerin zur versprochenen Stunde auf den Weg.

An der Stelle, wo heute die Hauskapelle steht, waren um diese Zeit die Bewohner der Umgebung im Begriffe eine hölzerne Kapelle zu bauen, und als die Zieglerin da vorbeikam, waren eben zwei Mann beschäftigt, einen Balken aufzuziehen, der sich aber verspreizt hatte und nicht nachgab. Sie baten die Vorübergehende, den Balken unten zu ledigen, was sie bereitwillig tat. Durch dieses guten Werkes wurde sie darüber erleuchtet, daß sie sich auf einem sündigen Abwege befinde und sie entschloß sich, dafür zur Buße den ganzen Tag den Zimmerleuten beim Kapellenbau zu helfen.

Der Freirieder wartete umsonst. Dafür stieß der Ehemann der Zieglerin auf sein Weib, das er suchen gegangen war. Ihr Fernbleiben wurde aufgeklärt: Sie wollte im Stillen ein gutes Werk ausüben. Bei ihrem Mann und der Nachbarschaft stieg sie darob in Ansehen. In der Erkenntnis, zu welchem Unheil ihre Unzufriedenheit bald geführt hätte, streifte sie nun alles bockbeinige ab und wurde eine gute Gattin und Hausfrau. Dem Freirieder verwies sie die Tür, als er sich das nächste Mal einstellte. Nun ließ er von dieser ab und nahm das Weib des Sauweiders am Inn aufs Korn, die er in einer ähnlichen Zweifellage vorfand, als er einmal durch die Auen ritt. Dort stand auf einer kultivierten Insel in der Sandwüste, die der Inn zurückgelassen hatte, ehe er sich allmählich in die zutiefst liegende Talsohle einbettete, die Hütte des Sauweiders, eines in Diensten des Grafen vom heutigen Mariastein gewordenen Knappen, der die Säue und Schafe hier zu hüten und betreuen hatte. Grob und ungeschlachten wie er war, mag sein Weib, das er sich unter dem Gesinde seines Herrn auserkoren, manchen Anlaß zur Klage gehabt haben. Hier erschien der Freirieder neuerdings als Tröster und Retter und fand Gehör.

Einmal traf ihn der Sauweider in der Hütte. Nach seinem Begehr gefragt, gab er an, um einen Lemst vorgesprochen zu haben. Auf des Sauweiders Geheiß: Er füttere niemand außer seines Herrn Säue, mußte der Freirieder wohl oder übel trollen. Das Weib aber war schon in seinem Garn. Er hatte ihren Verspruch, ihn auf der Werburg zu besuchen. Sie machte sich dem Abkommen gemäß auf den Weg. Vor der Hauskapelle stand ein Junge, der ein Kalb mit Gewalt festhielt. Darüber von der Sauweiderin befragt, sagte er, das Kalb gehöre dem Einöder, er habe es von der heimkehrenden Herde zurückgehalten, weil er wisse, daß der Einöder, wenn ihm ein Stück abgehe, gotteslästerlich fluche. Die Sauweiderin gab dem Jungen eine Ohrfeige, ließ das Kalb los und freute sich darüber, wie das Tier heimwärts stürmte. Das war für sie das erlösende gute Werk. Sie besann sich darauf, wie ihr Mann erst fluchen und toben werde, wenn er sie vermissen wird, denn es kam jahrein jahraus nicht vor, daß sie ohne sein Wissen einen Schritt außer Haus tat. Sie kehrte reuig und voller Sorge um. Der Freirieder wartete bis zur verabredeten Stunde und ging dann in erwachter Ungeduld der Sauweiderin entgegen. Diese war inzwischen Zuhause und gab ihrem Mann unumwunden Rechenschaft über ihren Ausgang. Der Sauweider fand mit gesunder Logik urteilend, den schuldigen Teil bald heraus. Sein Weib lobte er ob ihrer bewahrten Treue, aber den Nebenbuhler wollte er züchtigen und machte sich sofort auf den Weg, diesen Vorsatz auszuführen. Vor Mairhof begegnete ihn der Freirieder. Der Sauweider blieb stehen, ließ den Verführer seines Weibes, dem er blutige Rache geschworen, herankommen und stellte ihn:

"Mein Weib' wollte ausrücken, um dich zu erschlagen für deine Niedertracht, welche die Weiber zur Untreue verleiten heißt - sie hat aber mich geschickt, damit ich es besser mache."

Der Freirieder stutzte und besann sich auf die Flucht. Da sauste der Hirtenstab des Sauweiders auf seinen Schädel nieder. Der Freirieder stürzte unter dem mächtigen Hieb des kampfgewohnten Sauweider tot zusammen.


Georg Opperer in: Tiroler Heimatblätter, 1923; von Gottfried Opperer freundlicherweise zur Verfügung gestellt