Der Traum vom Bergwerk

In Tirol in einem bekannten Marktflecken, Schwartz [Schwaz] genannt, wohnte ein armer einfältiger Bürger, mit Namen Christoph Tonauer, welchen man insgemein den Krummen Stoffel zu nennen pflegte, weil er an einem Beine lahm war und auf den Jahrmärkten mit Rosenkränzen und Agnus Dei herumzog. Es war ein armer Mann, der sich kümmerlich ernähren musste. Nach und nach brachte er etwa so viel mit seinem Handel und Wandel zusammen, dass er eine andere Lebensart anfangen konnte. Er gab seinen vorigen mühsamen Kram völlig auf und fing an, Enzianwurzelbranntwein zu brennen, weil dieselbe in dem Gebirge sehr häufig wächst. Dieses Unternehmen verschaffte ihm seinen notdürftigen Unterhalt. Einstmals aber, da er diese Gebirge durchkletterte und sich's sehr sauer werden ließ, legte er sich zwischen zwei Klippen im Schatten nieder und wollte ein wenig ausruhen. Er schlummerte darüber ein und empfing in einem Traum die erfreuliche Nachricht, dass er bald ein reicher Mann werden sollte; dabei deuchte ihm, als wenn er auf goldenem Kies schliefe. Als er über diesem Traum erwachte, musste er sich nicht wenig über denselben wundern, weil er aus einem armen Branntweinbrenner sogleich ein reicher Herr werden sollte. Nachdem er nun von seinem Lager aufgestanden, sah er etwa 50 Schritt von sich ein kleines Männlein vor ihm hergehen, dessen Gesicht ihn in einen nicht geringen Schrecken versetzte, weil er wohl Zeit seines Lebens keine dergleichen kleine Gestalt eines Menschen jemals gesehen hatte. Doch erholte er sich und ging dem Männlein nach, so stark
als er konnte. Allein er konnte es doch nicht einholen, soviel Mühe er sich auch gab. Er war also nur darauf bedacht, dass er es nicht aus den Augen kommen ließ. Endlich sah er in einer Klippe eine Höhle, in welche dieses Männlein hineinging, und es aus seinen Augen verlor. Da überlegte er bei sich, ob er weiter nachfolgen sollte. Er erinnerte sich aber seines Traums und glaubte, es sei ihm was Gutes beschert. Es kniet darauf nieder, hebt an zu beten, und geht in diese Höhle hinein. Da fand er zwar kein Männlein mehr, allein er hörte an dessen Statt etwas, als wenn jemand noch tiefer drinnen mit einem Berghammer an dem Felsen arbeitete; welches ihm einigen Schrecken einjagte. Er fasste sich aber ein neues Herz, und als er hier und da herumsah, nahm er wahr, dass eine glänzende Ader durch den Felsen lief, an welcher etwas von gediegenem Silber war. Er nahm davon so viel als er herunterbringen konnte zu sich, und probierte mit seinem Grabeeisen, mit welchem er sonst die Wurzeln ausgrub, ob sich etwas von dem Erz abschlagen ließe: es gelang ihm auch damit insoweit, dass er einen ziemlichen Anteil davon überkam und zu den gegrabenen Wurzeln in seinen Ranzen steckte. Diese furchtbare Höhle bemerkte er sich mit einem abgebrochenen Wacholderstrauch, daran er seinen Rosenkranz hing. Mit dieser seiner Beute eilte er zurück in den Flecken, wo er wohnte: offenbarte die Sache zwei reichen Bürgern; wies ihnen das Erz und erzählte ihnen den ganzen Verlauf der Sache, nebst seinem gehabten Traum. Diese gingen mit ihm zu den entdeckten Klippen, fanden auch alles, wie er es ausgesagt hatte. Sie machten gleich unter der Hand Anstalt, (ohne die Obrigkeit etwas davon wissen zu lassen), ein Bergwerk durch etliche dazu berufene Knappenältesten anzulegen. Kaum aber hatten sie es zu einigen Aufnehmern gebracht, so erfuhr es die Regierung zu Innsbruck; welche nach Untersuchung der Sache den krummen Tonauer in einem Turm gefangensetzte, die andern zwei aber zu großer Geldstrafe kondemnierte (verurteilte). Die Regierung setzte nunmehr diese angefangene Arbeit ferner fort; allein, was geschah? Die Silberader verlor sich, dass man keine Spur mehr davon finden konnte. Daraus konnte man nun augenscheinlich sehen, dass es nur diesem Tonauer allein beschert gewesen war. Denn nachdem er wieder losgelassen wurde, hat er selbige gleich wieder entdeckt; darauf man ihm das Bergwerk zuerkannt, und die Regierung sich gefallen lassen musste, mit einer gewissen Summe Geldes zufrieden zu sein. In wenigen Jahren hat der Reichtum dieses Mannes so zugenommen, dass er hundert Bergknappen halten konnte und drei Häuser gekauft hat. Als er nun diese in eins bringen wollte, musste sich es fügen, dass er von neuem zwei ansehnliche Schätze fand, welche in dem Schwedenkrieg etwa waren vermauert worden. Als dieser Mann verstorben, hat er seinem Sohn 500000 Florin an barem Geld, ohne die erkauften Güter, hinterlassen; übrigens auch noch viele Stiftungen angerichtet. Merkwürdig aber ist es, dass dieser Reichtum bei den Erben bald wiederum zu schwinden angefangen, indem sie weiblicherseits sehr unglückliche Heiraten getan, und der männlichen Linie nach beinahe ausgestorben, und also das meiste davon gar bald in fremde Hände geraten ist.

Quelle: Will-Erich Peuckert, Die Sagen der Monathlichen Unterredungen Otto von Grabens zum Stein, Berlin 1961, S. 256 f. (Otto v. Graben z. Stein 1741, III, S. 518 ff.), zit. nach Sagen aus Tirol, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1992, S. 197 - 201.