Schmuck, tua an Ruck!

Beim "Veiten", dem dritten Hof im Kaisertal, lehnte eine schwerbeladene Kopfkraxe vor der Türe und drinnen in der Stube saß ein frischer, junger Senner. Er hatte ein schneeweißes Hemd an, darüber die roten Hosenträger, trug ein schlottrig Lederhöschen, das kaum bis zu den Knieen reichte, und um die Mitte hatte er flott sein weißes Melcher-Fetzerl (Schürze) geschlungen. Das Hütl hübsch schneidig auf die Seite gedrückt, guckte er, wie jemand erwartend, immer zum Fenstsr hinaus. Dann sah er nach seiner Uhr, zahlte sein Viertele Wein, verabschiedete sich, schloff unter seine schwere Kraxe und im gemessenen Tempo ging's taleinwärts eine Viertelstunde weit dahin. Dort auf der Bank neben der Pfandl-Kapelle, wo sich das Hintere Kaisertal mit seinem herrlichen Bergkranz so wundervoll erweitert, hielt er Rast. Es war heute ein,schöner Herbstabend, die Zeit der Almabfahrt nahte heran, die Feldfrüchte waren eingebracht und teilweise das Vieh schon auf die Heimweide getrieben. Die liebe Sonne stand schon ziemlich tief und fing an, mit herbstlichem Schimmer den langen Scheffauer - Kaiser, die Spitze des Sonnecks und den so majestätisch hoch aufragenden Haltstock glühend rot zu färben. Ueber die Karlsspitzen und das stolze Totenkirchl hatte sich ein zartes Violett gelagert, während drüben über dem Stripsenjoch im östlichen Wilden Kaiser die Fleischbank-wande, der Predigtstuhl, der Mitterkaiser und das Lärcheck bereits im dämmernden Grau verschwanden. Nur der hübschgeformte Stripsenkopf und die Spitzen des Zahmen Kaisers von der Kesselschneid bis heraus zur Steingrubenwand und Naunspitze waren noch vom hellen Sonnenschein beleuchtet. Sichtlich hatte diese selten wundervolle Herbststimmung auch den Burschen innerlich bewegt, denn er lauschte und schaute so sinnig hinein in die ruhige Abenddämmerung. Da rodelte und rumpelte es auf einmal drüben über dem Bach am Gamsberg. Er erhob den Kopf, glaubte eine Steinlawine zu sehen, sah aber nichts.

Antoniuskapelle
Antoniuskapelle am Wege nach Hinterbärenbad

Da kam die Pfandl-Vroni mit ihrem Milch-Bütterl auf dem Rücken von der Stadt zurück. Er ging ihr freudig entgegen, grüßte sie und sagte: "Aber du bist lang aus, ich hab' beim Veiten schon auf dich gewartet." "Schau," meinte sie, "weil du halt nichts dawarten kannst." Da rumpelte es drüben wieder. "Was ist denn das?" fragte das Sennerl. "Wenn du a Sonntagskind bist, nacher kannst du dir da drüben an Schatz holen," sprach sie und schaute ihm dabei mit ihren schwarzen Augen schelmisch ins Gesicht. "Ja, der war' ja da näher bei mir," schmunzelte er und wollte ihre Hand erfassen. Aber flugs sprang sie, gute Nacht wünschend, hinab zum Pfandlhof. Wieder schloff der arme Bursche unter seine Kopfkraxe und ging wieder weiter, noch eine halbe Stunde ging es einwärts zum Hinterkaiserhof. Zunächst am Hause begegnet ihm die Hinterkaiser-Urschi; sie ging hinaus zur Antonius-Hauskapelle, legte ein Leiterchen an den Turm und fing an, Ave Maria zu läuten. Die Hausleute, die in der Stube waren,, knieten an Bänken herum und beteten ihren Abendrosenkranz, während heraußen am Tische bei der Hollerstaude am kleinen Häuschen und unten am Tisch unter dem großen Birnbaum noch Gäste bei Kaffee, Butter, Milch und Honig saßen, wo die allzeit geschäftige Bäuerin ihnen fleißig frisches Wasser zutrug.

Das Sennerl hatte seine Kraxe abgelegt, stand vor dem Hause und schaute sich die Leute an; da rumpelte es schon wieder drüben am Gamsberg. "Schmuck, tua an Ruck!" schrie der alte Sommerfrischler Peter, der gerade bei der Haustür herauskam, hinüber, und richtig rumpelte es gleich wieder. Das Sennerl faßte ihn am Arm. "Was hast g'sagt?" fragte er, "wer rumpelt da drüben?" Das Gebet in der Stube war beendet, die Hausleute kamen heraus und setzten sich mit dem Peter zum Tisch am Hauseck. Die Weibsleute hatten zu stricken und die Mannsleute stopften ihre Pfeifen. Auch das Sennerl setzte sich dazu und allgemein hieß es: "Peter, erzähle uns von Schmuck!" Der Peter blinzelte mit seinen klugen Augen die Runde ab und langte einigemal mit der Hand streichend an den Hals, als wollte er die Geschichte schwer herausbringen. Der Toni, der Sohn des Hauses, wußte wohl, wo der Putzen steckte, und brachte ein Gläschen selbstgebrannten Kranewitter, worauf Peter zu erzählen anhub:

"Der im Kriegsjahre 1809 die Festung und Stadt Kufstein kommandierende bayerische Hauptmann war ein großer Kinderfreund, sodaß er immer in einem ledernen Geldbeutelein funkelnde neue bayerische Silberkreuzerchen bei sich trug, um damit die artigen Kinder zu beschenken. Als er nun, für Kufstein das Schlimmste befürchtend, die Schließung der Stadt anordnete, war es ihm auch darum zu tun, daß durch Kriegsgewalt den Kleinen kein Leid geschehe; er redete deshalb den Eltern zu, die Kinder fortzuschicken. Die Zeit des Torschlusses war kurz gemessen, und als die Trennungsstunde kam, stand der Stadtmichl, wie man kurzweg den Hauptmann zu nennen pflegte, unter dem Tor, um noch von den auswandernden Kleinen Abschied zu nehmen, die sich dazu an ihn herandrängten. Bei dieser herzigen Szene wurden selbst den rauhen Kriegern die Augen naß. Dann zogen wir dahin mit unserem Pack und Bündlein. Was sollten wir nun anfangen? Ueber der Innbrücke war nichts zu suchen; dort stand mit seiner Schar der Speckbacher, der den neugierig spionierenden Kufsteiner Mädeln die Zöpfe abschneiden ließ. In Glemm und Schwoich waren ebenfalls die Stürmer. So marschierte denn ein Teil zur Dickichtkapelle und baute sich dort im kühlen Waldesgrunde Rindenhütten, während die größere Schar, worunter auch ich mich befand, dem Kaisertale zuwanderte. Die Bauern, welche die Sparchner Mühle besetzt hielten, ließen uns ruhig durch. Dann ging's hinauf über die Stiege und hinein, stets mit dem Blick auf die bedrohte Heimat mit den darin besorgten Eltern. Bei der Neapelbank, als dem Punkt mit dem letzten Blick auf Kufstein, war tränenvoller Abschied; denn in der kommenden Nacht sollte Kufstein in Flammen aufgehen. Da hörten wir hinter uns Trommelschlag; nun ging's in eiliger Flucht dahin, wobei uns von dem ohnehin schon knapp bemessenen Proviant zwei Brotlaibe entkamen und unter allgemeinem Jammer in den Bach hinunterkollerten. Indessen war uns der Feind an den Leib gerückt; es waren nachkommende Kameraden, die durch Trommeln auf den mitgebrachten Kochkesseln ihrer Kriegslust Luft machten. Bei der Pfandl-Kapelle ward ein inniges Vaterunser gebetet, und dann ging's auseinander, den einzelnen Gehöften zur Einquartierung zu. Zur gleichen Zeit, als wir jugendlichen Flüchtlinge durch das Kaisertal wanderten, stieg auch drüben auf dem Jägersteig am Gamsberg ein Flüchtling hinein, um dort seine Schätze zu verbergen. Es war dies der reiche Schmuck aus Kufstein. Während bei diesem Kriege andere sich durch gute Taten fürs Vaterland aufopferten, benützte er dabei manche Gelegenheit, sich zu bereichern. Als er sein Geld und seine Schätze nirgends mehr für sicher hielt, trug er sie nun da drüben hinein, um sie dort zu vergraben. Er sollte aber selbst nicht mehr zum Vorschein kommen; denn er ward zu seinen Schätzen hineinverbannt und rumpelt und rodelt seither dort drinnen damit herum. Oft find wir schon drüben gewesen, den Schatz zu suchen, aber der Platz ist nicht zu finden. Wenn man schreit: "Schmuck, tua an Ruck!", nachher rodelt er, und wenn man glaubt, da hat es gerodelt, nachher rumpelt's gleich wieder wo anders. Den Schatz zu finden, da gehört einer dazu, der erstens ein Sonntagskind ist, zweitens rein und richtig gelebt hat und drittens nie verliebt gewesen ist." "O Deixl," sagt 's Sennerl, "die ersten zwei Punkt packat i schon, aber" — ein Gelächter am ganzen Tisch  "aber der letzte Punkt." "Gelt, Sennerl, da spuckt's wieder bei dir?" sagte der Peter. Die Gäste hatten sich verloren, die Hausleute und der alte Sommerfrischler Peter gingen zur Ruhe und unser Sennerl schloff wieder unter seine Kraxe. Er hatte nur mehr eine leichte Viertelstunde hinauf zur Bödner-Alpe und konnte auf dem Weg dahin über den Schatz nachdenken, und wenn er ihn einstweilen noch nicht behoben hat und nicht als reicher Mann in der Stadt privatisiert, so besuchen wir ihn nächstens auf seiner Alm und rufen auf dem Weg hinein zum Gamsberg hinüber: "Schmuck, tua an Ruck!"

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Die Geschichte vom "Schmuck, tua an Ruck!" erzählte die Turnschuster Mutter anders. Darnach war es ein Kiefersfeldener Bauer namens Much (Michael), der in seinem Geize nie genug Geld zusammenbrachte, das er schon truhenmeise besaß. Er war ein Tierquäler und Dienstbotenschinder, ließ diesen keinen Feiertag und zwang sie auch an Sonn- und Festtagen zur Feldarbeit. Dafür muß er ewig im Wilden Kaiser büßen. Wenn man zum Gamsberg hinüberschreit: Much, magst nu a Truch?" so hört man deutlich zurückgröhlm: "Io—o—o!" und es rumpelt das Gestein mit lautem Getös zu Tal.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 24ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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