Verbannte Kegelscheiber auf dem Scheffauer Kaiser

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Von Kufstein zur Südseite des Wilden Kaisers führt ein angenehmer und gut markierter Weg über die Locherer Kapelle und den Haberg zum Hintersteinersee. Bevor man die letzte Höhe zu diesem reizenden Gebirgssee erreicht, hat man die Wahl, auf dem Fahlrweg oder über die Steinerne Stiege dahin zu gehen. Letztere kann jedermann ohne Bedenken ersteigen, da sie mit Geländern gut versehen ist und so bei Tage trotz des schwindelnden Tiefblickes keine Gefahr des Absturzes obwaltet. Die Steinerne Stiege, mit so vielem Geschick emporgebaut, ist ein zu nettes und originelles Stück Weges, so daß es schade wäre, sie beiseite zu lassen, zumal die Aussicht droben auf die vielen Berge und Täler gewiß reichlich die Mühe lohnt. Nach dritthalb Stunden von Kufstein steht man an der Seespitze, wo die dem wackeren Führer Wiedauer gehörige Wirtschaft zum Hintersteinersee zur Einkehr einladet.  Da liegt er nun, der tief grüne, klare Bergsee, im weiten fernen Hintergrund die Leoganger Steinberge, vor ihm der massige Treffauer Kaiser mit seiner Schneemulde und der Steilabsturz des Sonnecks, dazwischen der Kleinkaiser mit dem Schneekar und dahinter die Ellmauer Halt. Links neben uns die himmelhohe Mauer des Scheffauers, der als kühner Wächter des Kaisers so stolz und so weit in das Inntal hinausschaut. Geht nur hinauf, es sind eben vier Stunden von hier, und es ist nicht so schwer, wie man meint. Etwas unterhalb der Spitze ist in einem kleinen Felskessel auf feinem Moosteppich eine Kegelstatt mit wirklichen Kegeln und Kugeln, da müssen noch Kegel scheiben die übermütigen Bauern, die auf ihrer reichen Heimweide, wo jetzt der See sich breitet, mit Butterknollen Kegel schoben. Es war eine mondhelle Nacht, als sie da so spielten und ihre ausgelassenen Witze trieben, bis der Boden unter ihren Füßen schwankte und sie samt Haus und Maus in die Tiefe sanken. Nun sind sie dafür hinaufgebannt auf die Scheffauerspitze und müssen dort zur Strafe Kegel scheiben, solange der Kaiser steht.

(Vergl. die gemein-bayerische Mythe von Kegelspielenden Geistern, Zwergen und Teufeln, mythisch an das goldene Kegelspiel der Asen auf der Au des Idacores erinnernd. (Quitzmann, Religion der Bajuwaren, S. 15.)

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 51f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Mai 2006.
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