Die Brandenberger Hexe auf der Edelfelden-Alpe.


Die Naunspitze, das Petersköpfl und das Vogelbad.

Wenn die Gewittermassen vom Flachlande geschlossen und ruhig zu den Bergen hereinfuhren, auf einmal aber wie Furien an den Hinterkaiser anstürmten, sich auf die Naunspitze lagerten und dort durch jede Lücke gewaltsam durchdrängten, dann zum Wilden Kaiser hinübereilten und durch das große Ellmauer Tor wieder hinausfuhren, das war eine Hexenfahrt, da tummelte sich die Brandenberger Hexe hinauf zu der Hirschlack und machte dort aus schwarzer Schafwolle Knollen, und flugs war sie damit auf der Naunspitze. Stand sie dann dort ganz verhüllt in den Wolken, so schrie sie das Hexenpaßwort: Naun, Naun, Naun, und fuhr im Gewitter mit den Hexen davon. Wenn sie wieder zurückkam, konnte sie mit den Schafwollhaaren Menschen und Vieh verhexen und hat damit oft großen Schaden angerichtet.

Der Schaflpeter, der den Hinterkaiser mit seinen Schafen befuhr, bemerkte öfter zu seinem Aerger, daß von seinen schwarzen Schafen ganze Schüppel Wolle aus-geschoren waren. Als er einmal da oben auf dem Plateau auf einem Köpfl stand und seine Herde überschaute, da sah er, wie die Brandenberger Hexe aus seinen schwarzen Schafen Wolle ausscherte. Er schrie und schimpfte zu ihr hinunter. Aber, o weh', Peter! Der Peter war auf das Köpfl angebannt und konnte nicht mehr fort. — Zwei Tage und zwei Nächte stand er hungernd oben und jammerte, es half alles nichts, er konnte sich nicht vom Platze rühren. Da sah er den Wilderer Oergei hinter einem Schrofen heraufsteigen. Dieser Wilderer war aber ein Hexenmeister, der noch mehr konnte als die Brandenberger Hexe. Er war derjenige, der im Teufelswurzgarten Blutkugeln gegossen hatte, der auch das Feuer stellen konnte, sodaß ihn keine Kugel traf, und der sich mit einem Zauberkräuterl unsichtbar machen  konnte.

Der Schaflpeter schreit ihm zu: "Oergei, hilf mir, die Brandenberger Hex' hat mich daher bannt!" Der Oergei kam und sagte: "Grad recht, mit dieser Teufelshex hab' ich abzurechnen, dieser werden wir es schon machen!" Der Oergei kannte alle Hexenkräuter, er sammelte einen Buschen solcher Kräuter, legte sie samt dürrem Holze um den Peter und zündete sie an. Als das Feuer aufloderte, sprach er einige Worte, und der Peter war befreit; seitdem heißt man dieses Köpfl das Petersköpfl.

"Aber jetzt werden wir erst die Hexe bannen," sprach der Oergei und holte einen Stecken von besonderem Holze, steckte ihn in den Kreis, machte einen neuen Feuerkranz darum und als er wieder einige Worte sprach, da grunzte und pfiff es um den Stecken. "So, jetzt ist sie im Feuer," lachte der Oergei höhnisch. Sie schürten das Feuer immer enger zusammen, bis der Stecken anbrannte. "Jetzt ist sie gemerkt," sprach der Wilderer und zog den Stecken hieraus.

Bei der Alphütte Edelfelden sah man an diesem Abend Feuer und hörte die Hexe schreien. Sie war als Hexe gebrandmarkt und verschwand in den Lüften, von wo man ihr Geschrei noch lange über den Bergen hörte.
Zwischen dem Veiten- und Pfandlhof im Kaisertal führt links ein bequem angelegter, markierter Steig in zwei Stunden hinauf zum Untertkunftshaus Vorderkaiserfelden, wo sich ein schöner Ueberblick über den Wilden Kaiser bietet. Von da sind es drei Viertelstunden auf das Hexen-Naunspitzl. Von der Naunspitze führt eine Markierung über das Plateau am Petersköpfl vorüber in zwei Stunden zur Pyramidenspitze. Im letzten Drittel des Weges dahin muß man über einen gefahrlosen, interessanten Kamin absteigen. Hier ist unter einem Felsen ein gutes, frisches Wasser, welches nie mehr wird, aber auch nie weniger; es ist das etwas geheimnisvolle Vogelbad. Zu diesem Wasser kamen einmal große, schwarze Vögel geflogen, die lange unter schrecklichem Geschrei über dem Wasser kreisten, dann stürzten sie sich dazu hernieder, badeten sich und flogen als schneeweiße Vögel wieder davon. Es waren Verbannte, die weit her zu diesem Reinigungswasser mußten, um ihre Befreiung zu erlangen.

Von Vorderkaiserfelden führt auch ein zwar etwas mühsamer Steig, der sogenannte Sonnkaiser-Hochweg, in zwei Stunden hinaus zur Hochalpe und von da in zwei Stunden nach Walchsee. Schlägt man diesen Hochweg ein, so kommt man von Vorderkaiserfelden bald zu den zwei jetzt eingeforsteten Edelfeldener Alpenhütten. Die erftere, sogenannte vordere halb zerfallene Edelfeldenhütte ward, nachdem in der alten, hinteren Hütte vor Unruhe niemand mehr bleiben konnte, später erbaut. Gerade dort, wo der markierte Steig von der Pyramidenspitze herab den Sonnkaiser-Hochweg kreuzt und über Kernecken nach Hinterbärenbad hinabführt, da stehen noch knappe Ueberreste  der eigentlichen alten Edelfeldener Alpenhütte, wo einstens die Brandenberger Hexe hauste und wo es, sagt der Jäger Simon, der diese Hexengeschichte als Erbstück von seinem Nödl erzählt, auch heutigen Tags noch nicht ganz richtig sein soll.

Quelle: Sagen aus dem Kaisergebirge, Anton Karg, Kufstein 1926, S. 74
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Leni Wallner, Juli 2006.
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