Die Begebenheit mit Oswald Milser

Seefeld gehörte in ältester Zeit zur Pfarre Telfs und stand mt derselben durch einen drei Stunden langen Weg über Mösern in Verbindung. Es hatte frühzeitig ein eigenes Kirchlein mit Gottesacker. Dieses war dem hl. Märtyrer Oswald (Fest am 5. August) geweiht. Im jahre 1334 wurde hier eine eigene Kaplanei errichtet und Konrad von Schellenberg durch Bischof Albert von Brixen zum ersten Kaplan ernannt. Dieses St. Oswaldkirchlein wurde nun weltberühmt durch diese Wundergeschichte, welche sich mit Oswald Milser, Pfleger in der Feste Schloßberg, darin zugetragen hat.

Die Milser oder Mülser führten ihren Namen (nach Rapp's Diözesanbeschreibung) vom Dorfe Mils oder Müls bei Imst; nachdem sie das Schloß Klamm unweit Obsteig erworben hatten, nannten sie sich Milser von Klamm. Rupert Milser, der Großvater des Oswald, ließ im Jahre 1286 bei der Klosterkirche Stams die sogenannte Milsersche Kapelle erbauen, die 1306 zu Ehren des Allerheiligsten Sakramentes (daher auch Sakramentskapelle geheißen) eingeweiht wurde und dem Geschlechte, das um 1400 ausstarb, als Familiengruft diente. Um 1620 erweiterte Abt Thomas die Kapelle und setzte in derselben die Reliquie vom kostbaren Blut aus der Seitenwunde Christi bei, weshalb sie im Volksmunde fortab gewöhnlich Blutskapelle hieß.

Oswald, von dem hier die Rede ist, war überaus reich und mächtig am Inn und an der Etsch, vieler Burgen und Burggefälle Herr und Inhaber, dabei gewalttätig, stolz und übermütig. hatte er doch im jahre 1367 den Abt Konrad II. Speiser des Prämonstratensertiftes Wilten eine Zeit lang auf seinem Schlosse Klamm gefangen gehalten und sich dadurch den Kirchenbann zugezogen, von dem er fünf Jahre später losgesprochen wurde. Im Bewußtsein seiner Macht und seines Reichtums geriet er auf den sonderbaren Einfall, sich die Osterkommunion in einer großen Hostie, wie sie die Priester genießen, reichen zu lassen, um dadurch seinen Vorrang vor allem Volke zu zeigen. Der Priester suchte ihn von seinem Vorhaben abzubringen; aber durch Drohungen erschreckt, gab er nach und willfahrte dem Verlangen.

Hostienwunder, Tympanon©Berit Mrugalska
Darstellung des Hostienwunders in Seefeld, Tirol
Detail des gotischen Tympanons, Südportal, Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Oswald (um 1470)
© Berit Mrugalska, 13. September 2004


Oswald tritt im Ritterschmucke an die linke Seite des Altares und empfängt stehend und bedeckten Hauptes, wie ein Gemälde des Josef Schöpf von Telfs in der Blutskapelle zu Stams es darstellt, die heilige Kommunion. Aber kaum berührt er mit frevelnder Zunge die große heilige Hostie, so gibt der Boden nach und, versinkend bis an die Knie, will sich Oswald am Altarsteine halten; doch dieser neigte sich ein wenig gegen ihn, wie noch zu sehen ist, und wird weich wie Wachs, so daß sich Hand und Finger demselben eindrücken. Gewaltiger Schrecken übermannt den Sünder; voll Reue bittet er Gott um Verzeihung und fleht den Priester an, ihm das hlst. Sakrament aus dem Munde zu nehmen; denn er konnte es nicht genießen. Als der Priester dieses tat, zeigte sich ein neues, großes Wunder; an der durch die Feuchtigkeit der Zunge und des Mundes zusammengezogenenen heiligen Hostie wurden nämlich blutige Male in Form von Tropfen sichtbar.

Diese Blutspuren an der Hostie gaben den Anlaß, daß der Volksmund statt von der "wunderbaren Hostie" von einem "Heiligen Blut" in Seefeld redet.

Heiligblutkapelle©Berit Mrugalska
Anlässlich des Hostienwunders wurde die Heiligblutkapelle errichtet,
sie liegt über dem Sakristeianbau, 1576 geweiht
Barockisierung: Tonnengewölbte Decke und reiche Stukkatur, Deckenmalerei
wird Franz Michael Huber zugeschrieben, 1724 (Vgl. DEHIO-Tirol, 1980, S. 721)
© Berit Mrugalska, 13. September 2004

Kaum ward Milsers Hochmütiges Herz zur Reue erweicht, befestigte sich die Erde unter seinen Füßen. Verwunderung, Staunen und Ehrfurcht hatte sich aller Anwesenden bemächtigt. Oswald, in seinem unbändigen Stolze gedemütigt und zitternd an allen Gliedern, machte sich aus der Senke los, warf sich auf seine Kniee nieder und klopfte unter Seufzen und Weinen an sein Herz.

Seefelder Hostienwunder©Berit Mrugalska
Seefelder Hostienwunder, Detail der Deckenmalerei, ovales Mittelfeld
rechts über Oswald Milser die Szene der Überbringung der Nachricht an Dorothea Milser
© Berit Mrugalska, 13. September 2004

Inzwischen verfügte sich einer seiner Diener eiligst nach Hause, der Gemahlin seines Herrn, welche Dorothea hieß und aus religiösem Kaltsinn an diesem Tage die Kirche nicht besucht hatte, Nachricht vom Vorgefallenen zu bringen. Allein die stolze Frau wollte dem Boten keinen Glauben schenken und sagte vermessen, daß eher der neben ihr stehende Hackstock Rosen hervorbringen würde, als daß das Erzählte wahr sein könnte. Und in der Tat! Auf der Stelle erblühen schöne Rosen am Stocke. Doch die Frevlerin kehrte sich nicht daran, sondern riß die Rosen ab, warf sie zu Boden und zertrat sie. Dieser hartnäckige Unglaube ward vom erzzürnten Himmel alsogleich strenge bestraft. Die Unselige wurde nämlich augenblicklich wahnsinnig und wie ein wildes Tier lief sie in voller Raserei hinaus in die anliegenden Waldungen, wo sie elend zu Grunde ging. Die Legende weiß, daß nur noch ein Pantoffel von ihr gefunden wurde.

Oswald hatte sich vom Schrecken seiner Warnung noch nicht erholt, als er die traurige Botschaft von dem beweinenswerten Untergange seiner Gemahlin vernahm. Durch dieses Unglück noch mehr zerknirscht, verließ er später alles und zog sich in das Kloster Stams zurück, um daselbst seinen Stolz zu büßen. Er führte da ein überaus strenges Leben; sein Nachtlager war die bloße Erde, sein Kopfkissen ein harter Stein. Nach zwei Jahren der strengsten Buße starb er und ward bei seinen Voreltern in der Milser'schen Kapelle begraben, jedoch nicht in der eigenltichen Gruft, sondern unter der Türschwelle am Eingange in die Kapelle, wie er es vor seinem Tode demütig verlangt hatte, damit alle Aus- und Eingehenden seine Leiche mit Füßen treten. Statt eines kosbaren Denkmales bezeichnet nur ein kleines Kreuzchen, in den Fußboden gehauen, die Beisetzungstätte, das, wiederholt erneuert, noch heute zu sehen ist.


Quelle: Seefeld und seine Wallfahrtsstätten, P. Meinrad Bader, Innsbruck 1909, S. 8ff.