Wie das Helenenkirchlein entstand

Einst wollte einer der Görzer Grafen seinen Freunden und Zechkumpanen einen Wildbretschmaus vorsetzen. Also ging er auf den bewaldeten Hängen der Lienzer Sonnseite zur Jagd.

Er streifte lange umher, aber kein Wild wollte sich zeigen. Schon wollte er voll Zorn umkehren, da kam ihm eine Muttergeiß mit einem kleinen Kitzlein entgegen. Kurz entschlossen legte er an und schoss die Geiß tot. Seinen Knechten befahl er, sie nach Schloss Bruck zu bringen.

Da kam eine alte Frau herbei und jammerte: „Jetzt habt ihr meinen einzigen Besitz erschlagen! Wovon sollen ich und meine Enkelin nun leben, wenn ich die Milch der Geiß nicht mehr habe?“ Der Graf wurde darauf noch zorniger und schlug die alte Frau mit einem einzigen Schlag nieder. Ihren Leichnam ließ er liegen.

Am nächsten Tag ritt er wieder in den Wald. Da traf er ein kleines Mädchen, das neben einem Zicklein kniete und bitterlich weinte. Es erzählte ihm, dass ein böser Mann seine Großmutter erschlagen hätte und sie nun nicht wüsste, was aus ihr werden sollte. Da erbarmte sich der Graf nun doch und nahm das Mädchen mit zu sich ins Schloss.

Als es groß geworden war, nahm er es zu seiner Frau. In der Nacht aber träumte er oft von seinem Mord. Er rief im Traum: „Geh weg, du alte Eule! Ich will von dem Mord nichts mehr wissen! Habe ich nicht deine Enkelin zur Burgherrin gemacht?“

So erfuhr die Gräfin, dass ihr Mann der Mörder ihrer Großmutter war. Sie wollte nicht mehr bei ihm bleiben und schlich sich heimlich davon. Der Graf suchte sie überall, konnte sie aber nicht finden. Sie war für immer fort gegangen.

An einem kalten Wintertag ging er allein auf die Jagd. Da geschah es, dass er genau an der Stelle vom Pferd stürzte, an der er vor vielen Jahren seine böse Tat begangen hatte. Er konnte nicht mehr aufstehen, und musste daher die ganze lange kalte Winternacht im Wald liegen bleiben. Da bat er Gott um Vergebung und gelobte, an dieser Stelle eine Kirche zu bauen, wenn er gerettet würde.

Am Morgen fanden ihn seine Knechte halb erfroren, aber noch am Leben. Zum Dank für seine Rettung ließ er ein kleines Kirchlein bauen, das der heiligen Helene geweiht wurde.

Nach Maria Kollreider-Hofbauer

Quelle: Wie das Helenenkirchlein entstand, nacherzählt von der 3b, Volksschule Lienz-Süd 1, aus „Die schönsten Sagen Osttirols“ 1968, Lehrerin Claudia Kopf, Emailzusendung vom 6. Februar 2006