DAS ALTE HÄUSCHEN AUF STALLWIESE

Droben auf der Stallwiese" unterhalb der Kleblealpe, wo jetzt die neue Taia" steht, heißt man es beim Häuslan". Das Haus war das ganze Jahr hindurch bewohnt. Vater, Mutter und zwei Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, lebten dort glücklich beisammen. Einmal im Frühjahr machte es an einem Samstag einen großen Schnee, der aber sofort wieder aperte. Die Leute blieben am Sonntag dem Gottesdienst ferne, weil der Weg zu gefährlich war. Da brach nun während des Gottesdienstes eine große Mure los, riß das Häuschen samt seinen Bewohnern mit in die schaurige Tiefe. Die Mure grub eine tiefe steinige Rinne bis ins Tal hinunter und schüttete einen großen Schuttkegel gegenüber der Kirche von Sölden auf. Rauchlehnbach" heißt die steile Murenrinne, die von Stallwiese über die Hänge des Söldenkogels ins Tal geht. Und wie alte Leute erzählten, sahen sie oft, wenn im Sommer beim Umgang um die Kirche die vier Evangelien gesungen wurden, drüben aus der Rauchlehnbachmure vier Köpfe sich aufrecken und andächtig zuhorchen.

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 135 f.
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997