RUSILENA

Die Bauern Rusilena hatte ihren Hof eine gute halbe Stunde oberhalb Gaislach, hart oder der Waldgrenze. Rusilena ist zwar ein sonderbarer Name. Doch auch der erste Rofnerbauer hat Ruzo geheißen und der erste Gurgler Bauer Rutsch. Diese drei Höhe sollen die ersten im hinteren Ötztal gewesen sein. Auch vom Hof der Rusilena sieht man heute noch die Grundmauern und der Platz heißt Beim Häuslan". Also muß wohl ein Haus dort gestanden haben. Freilich ist das lang, lang her.

Also die Rusilena lebte beim Häuslan", war lustig und ledig. Zu ihr kam öfters der Teufel in Gestalt eines sauberen Jägers. Einmal in der Nacht von einem Samstag auf einen Sonntag war der Höllische wieder bei ihr; sie aßen und tranken, sangen und tanzten bis in den hellen Morgen hinein. Die Bäuerin wollte Schluß machen und nach Sölden in die Kirche gehen. Der Teufel aber wußte sie durch Schmeicheleien und allerhand Kunststücke immer wieder aufzuhalten. Endlich raffte sie sich doch auf und ging. Nach Sölden aber sind es zwei Stunden zu gehen. Rusilena wußte, daß sie spät dran sei und eilte immer schneller, um ja noch die Messe zu erreichen. Als sie aber auf die Walderhöhe" kam, wo man zum erstenmal den Kirchturm sieht, hörte sie läuten. Da kam ein Mensch daher, es wird wohl der Teufel selbst gewesen sein, und der sagte: Rusilena kannst wieder umkehren, es tut schon Wandlung läuten!" Traurig machte sie sich wieder auf den Heimweg. Sie machte sich furchtbare Vorwürfe, daß sie die ganze Nacht so liederlich gewesen war und dazu noch die Sonntagsmesse versäumen mußte. Auf einmal wurde ihr auch bewußt, daß ihr Liebhaber der Teufel selbst sei und da wußte sie sich gar nimmer zu helfen und geriet ganz in Verzweiflung. Sie nahm einen Strick und erhängte sich knapp oberhalb ihres Hauses an einem Baume. Heute noch sieht man dort in einer Steinplatte ihren Fußabdruck. Den Hof aber wollte niemand mehr bewohnen; er ist zerfallen bis auf einige Grundsteine. Die Hütkinder aber erschrecken heute noch, wenn man ihnen droht: Rusilena und der Corpus kommt!"

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 135
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997