DIE KAPELLE AUF KÖFELS

Auf der Alpe Wurzberg, beiläufig eine Stunde vom Dorf Köfels entfernt, weidete wieder zur Sommerszeit das Vieh und die Hirten knallten mit der Peitsche, daß es ringsum die Leute an die Alm gemahnte. Die Kühe grasten munter und sicher an den Höhen herum, kein Unfall trübte die Fröhlichkeit der Hirten und nachdem die Sonne hinter die Berge gegangen, kehrten die Kühe unter dem Klang der Singeisen und dem Geklinge der Schellen zu den Theien (Almhütten) zurück. Der Melcher nahm ihnen sofort ihre Last ab und dann ruhten sie aus. In der Hütte wiederum verrichteten der Senn und die Hirten noch ihre abendlichen Geschäfte und lagerten sich dann um das Feuer, eine Pfeife schmauchend.

Des Morgens früh, sobald auf den gegenüberliegenden Felsenkuppen die Sonne hervorstrahlte, trabten die Kühe wieder auf die Weideplätze, welche der Hirt für dieses Mal bestimmt hatte und so ging der Tag unter den gewöhnlichen Geschäften ohne alle Störung vorüber.

Eines Tages, als die Kühe wieder heimkehrten, kamen sie plötzlich so in Unordnung und Verwirrung, daß sie alle auseinandersprangen. Die Älpler wunderten sich, was denn das sei und sahen zu ihrer größten Bestürzung einen jungen Stier, der nicht zur Herde gehörte und auch sonst ein gar sonderbares Aussehen hatte. Während der Senner, der Melcher und der Geißhirt ganz verwirrt dreinsahen und sich gar nicht mehr zu helfen wußten, verlor der Kuhhirt die Geistesgegenwart nicht und schickte sich an, den jungen Stier seine Geisel zu zeigen und fühlen zu lassen. Doch derselbe hatte sich unterdessen aus dem Staub gemacht.

Die Sonne schaute wieder freundlich hinter dem Berg hervor, und die Kühe weideten auf der Anhöhe hinter der Hütte. Bald neigte sich der Tag und die Kühe zogen eine nach der anderen in schöner Ordnung der Hütte zu. Plötzlich kam die Herde in Unordnung, daß alle auseinanderstoben. Mit zornigem Blick gewahrte der Hirt den jungen Stier, riß eine Latte von der Einzäunung herab und sprang wütend auf den Stier los. Dieser stellte sich vor den erstaunten Hirten. Wie der Hirt merkte, daß der Stier einen Ansprung nehmen wollte, warf er die Latte weg und lief aus allen Kräften davon und der Stier ihm nach. Über Stock und Stein, Hügel und Gestrüpp ging es fort bis zum Dorf Köfels. Schon glaubte der Hirt, den Atem nicht mehr aufbringen zu können, und die Angst steigerte sich zum höchsten Grad. Nirgends erspähte er eine Hilfe und der Stier folgte in gleicher Wut ihm auf dem Fuße nach.

Jetzt gelangte er zum Abhang, wo der Weg steil hinunter führt und fast wollte ihm vorkommen, er müßte hier erliegen.

In dieser Angst versprach er, an dieser Stelle eine Kapelle zu erbauen. In diesem Augenblick verschwand der Stier.

So kam es zum Bau der Kapelle auf Köfels.

Haid, Hans, Unveröffentlichte Sagen aus dem Ötztal, in: Tiroler Heimatblätter, 45. Jg., Heft 4-6, 1970, S. 66
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997