DIE HEIMBACHER MURE

Der Heimbach in Sölden kann oft sehr bös werden und durch seine Muren den dortigen Bauern sehr großen Schaden anrichten. Wie es jetzt ist, so war es auch in alten Zeiten. Freilich hat man damals den Hexen die Schuld an diesen Muren zugeschrieben. Einmal glaubte man auch einen Beweis dafür zu haben. Und das ging so zu: Als die Mure wieder einmal den Heimbachern die Äcker und Wiesen arg verwüstet hatte, ging ein Bauer auf den Berg hinauf, um nachzuschauen, wo sie losgebrochen sei. Als er in die Gegend zwischen Leiterberg und Hamrach kam, sah er dort den Murbruch und darober hockte ein verdächtiges Weib. Dieses bat ihn, er möge es nach Sölden hinuntertragen, denn sie sei von der nächtlichen Arbeit sehr müde und könne fast nicht mehr gehen. In der Nacht vorher war nämlich die Mure losgebrochen. Da sie nicht nachließ zu jammern und zu betteln, erbarmte sich der Bauer und trug sie eine halbe Stunde weit den mühsamen steinigen Bergweg hinab. Als sie oberhalb Grünwald waren, sagte sie: So, jetzt geht es schon allein, da ist der Weg besser!" Dann war das Weib plötzlich verschwunden. Der Bauer hatte also jene Hexe, die in der vorigen Nacht ihm die Felder vermurt hatte, vom Berg herabgetragen.

Falkner, Christian, Sagen aus dem Ötztal, in: Ötztaler Buch (= Schlern-Schriften 229), Innsbruck 1963, S. 137
aus: Sagen und Geschichten aus den Ötztaler Alpen, Ötztal-Archiv, Innsbruck 1997