Die Eismännchen

I. Abtheilung.

Zum Himmel flattern rothe [rote] Feuerfahnen,
Die Erde bebt und wogt im tiefen Schooß [Schoß],
Es schwillt empor aus glühenden Vulkanen,
An breiten Lavaströmen steh'n Titanen,
Die bauen wild und stark ein Riesenschloß.

Und wie Gestein und Eiskolosse steigen
Hinauf zu Wolkentanz und Sternenpracht,
Sich drinnen in der Gänge bunt Verzweigen,
Die strahlenden Kristallpaläste zeigen,
Geformt aus Glut und Frost, ans Licht und Nacht.

Die Urzeit schwand, die Riesenleiber sanken,
Mit Mamut [Mammut], Sauriern und Mastodon,
Wo Riesenpalmen steinern sie umranken;
Die Größe starb, - als Eisschrift der Gedanken,
Das blieb des Gletscherstocks Dimension.

Und weil die Größe schwand im Lauf der Zeiten,
Das Jetzt vielleicht nicht klüger ist, nur schlau,
Drum Zwerge jetzt durch diese Gänge schreiten,
Die Silberbärte sich am Boden breiten:
Die kleinen Eismännlein sind's alt und grau.

II. Abtheilung

Opalglanz deckt die fernen weißen Zinnen,
Im Kräuterdufte träumt ein Alpenhaus,
Die Kügelchen von Thau [Tau] im Gras zerrinnen.
Der Rofner zieht mit seinem Sohn von hinnen,
Und ruht am Zirmstock friedenselig aus.

Wer kennt nicht solches einsam Bergthalleben [Bergtalleben]? -
Um's weiße Venterkirchlein, Hütten braun, *)
Im Rücken rings vom Eismeer dicht umgeben,
Mit wunderlich zerhackten Spitzen, Gräben,
Die Wildspitz *) links und rechts der Similaun.*)

O kommt herauf aus euern seid'nen Sitzen,
Und seht die Blumen an auf dieser Flur,
Wie sie gesund und schön aus Gras und Ritzen,
Geküßt vom Bach wie blaue Aeuglein [Äuglein] blitzen.
Wie klein ist Treibhausflor, - wie groß Natur ! -

Da spricht der Vater: Schnell die Mahd zu enden,
Mein Sohn zieh fort nach Schnals um eine Dirn,
Die hurtig zugreift, nicht viel salbt an Händen,
Denn morgen schon wird sich die Sonne wenden,
Das bringet bösen Regen von dem Firn.

*) Vent ist das höchstgelegene Dorf Europa's liegt 6048 Fuß über dem Meere.
*) Die Wildspitze liegt 11,591 Fuß und Similaun 11,780 Fuß über dem Meere.

III. Abtheilung

Der Morgenstern erbleicht, im lichten Strahle,
Schwebt leicht dahin gefrorner Alpenrauch,
Er senkt sich nieder, wie ein Flor im Thale [Tale],
Und drüber breitet sich die blaue Schaale [Schale],
Umspannt den Rofnersohn am Gletscher auch.

Der kämpft im kalten Föhn zur grünen Küste;
Denn schwarze Nacht umhüllt das Niederjoch,
Wo kurz zuvor ihn zartes Weiß begrüßte,
Treibt Wirbelschauer durch die Todtenwüste,
Und wilde Jagd durchlest die Lüfte hoch.

Das junge Blut kann nimmer sich ermannen,
Er stürzt am Fels, um den der Steig sich schlingt,
Zur Mutter Gottes seine Thränen [Tänen] rannen,
Da springt mit Knall das schwarze Eck von dannen,
Grau Eismännlein aus dunkler Spalte dringt:

"Fürcht' nichts, ob sich am Weg Gefahr auch thürme [türme]!
Ich weise dir den Pfad in kurzer Frist,
Der Lüge und dem Meineid gelten Stürme,
Wir lauern rächend solchem Menschgewürme,
Nur Bösen uns're Rache schrecklich ist."

IV. Abtheilung.

Gelobt sei Christus! Friede eurer Pforte!
Der Vater sendet mich um eine Magd,
So spricht in Schnals der Sohn mit lautem Worte, -
Ihr wißt es wohl, wie man sie braucht im Orte,
Die beste "Weck das Haus," wenn's Frühroth [Morgenrot] tagt.

Er überreicht das üblich' Angedinge:
Ein Kupferringlein und ein Vortuch [Schürze] blau,
Der Freund doch meinet, daß es nicht gelinge,
Weil lang schon Alles in die Arbeit ginge.
Bestellt zur Mahd auf Almen, Feld und Au,
Doch weiß er Ruth, und spricht: bleib gastlich wohnen,
Und morgen zieh mit Grete, meinem Kind.
Sie soll zur Aushilf meinem Freunde frohnen,
Statt Geld mag sie ein freundlich Wort belohnen.
Das schone Mädchen horcht - und jaht geschwind.

Ihr wißt wie oft ein ernster Blick Entzücken,
Ein Händedruck die Jugend setzt in Brand,
Wenn Liebe launisch will den Kopf verrücken.
- Er schwur als Weib sie bald an's Herz zu drücken
Am Heimweg droben bei der schwarzen Wand.

V. Abteilung.

Im Rofnerhof geziert mit frischen Kränzen
Hält heut Verlobungsfest der kranke Greis,
Drum auch die Ferner feierlich erglänzen:
Wie Sohn und Gretchen goldnen Wein kredenzen,
Spricht Väterchen zum Sohne ernst und leis':

Such' Wärme nie in faulen Holzesgluthen [Holzesgluten],
Gesunden Stamm stell ein für Kind und Haus,
Die Perlen reifen nicht in trüben Fluthen [Fluten],
Nur durch den Quell des Fleißes und des Guten
Zieht Achtung ein, und Liebe geht nie aus.

Ein Nordlicht blinkt, wo Mondesstrahlen fehlen:
Nicht Silber braucht's, wenn reine Neigung wirbt,
Nicht Eigennutz soll Heiz und Herz vermählen,
Erkaufte Liebe lasse Wucherseelen -
Erschöpfet sinkt er rückwärts, ach! und stirbt.

Der Sohn eilt fort den Schnalsern dieß [dies] zu kunden.
O eitler Klang - wenn Leichtsinn Liebe schwört.
Er hat ein reiches Mädchen dort gefunden,
Um Gold und Gut Vertauscht er Gretchens Wunden
Und freit die andre drüben blind bethört [betört].

VI. Abtheiung

Nach Hause wandert Grete still beklommen,
Sie ruht an schwarzer Wand so ganz allein,
Das Herze brach, die Augen sind verschwommen.
Von Schnals herauf war auch ein Zug gekommen,
Der Rofner Hohzeitgag, der jauchzet drein.

Hier angelangt am rauhen Eisgefilde
Verstummet Gretchens grußbereiter Mund,
Das Hochzeitpaar erschrickt zum Marmorbilde,
Der falsche Schwörer rollt sein Aug', das wilde,
Es saus't und brauset tief im Bergesgrund.

Der Pfad versinkt mit Krachen und mit Toben,
Ein schwarzer Schlund bricht auf, der endet nicht,
Phantome grinzen [grinsen], huschend vorgeschoben
Die Zwerge haben sich empor gehoben,
Und schreiten vor zum schrecklichen Gericht.

Umklammern fest das Brautpaar an der Hüfte
Und schleudern es den schwarzen Schlund hinab,
Ein Wimmern noch - drauf schließen sich die Grüfte. -
-------Als Gretchen starb, da trugen die Geprüfte
Die Männlein still zur "lieben Frau" *) ins Grab.

*) "Unserer lieben Frau," Pfarr- und Wallfahrtskirche der gleichnamigen Gemeinte, Hauptort des Schnalserthales [Schnalstal].

Quelle: Die Alpenzither aus Tirol, Gedichte und Erinnerungsblätter aus den Jahren 1848 und 1849, Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Innsbruck 1855, S. 141ff