EINE WEISSAGUNG ERFÜLLT SICH

Wie der Volksmund erzählt, lebte in Nassereith einmal eine Frau mit dem Namen Hedwig, die »Hoatle« genannt. Ihr Schreibname ist nicht mehr zu eruieren. Diese Frau hat in die Zukunft gesehen und war deswegen bei ihren Zeitgenossen eher gefürchtet als beliebt. Wenn sie wegen ihres »zweiten Gesichts« des öfteren belächelt wurde, war sie darüber nicht böse. Sie war eine gütige Frau und war über ihre Begabung gar nicht glücklich. Als sie eines Tages ein Bergknappe wieder einmal auf den Arm nehmen wollte, sagte sie ganz still zu ihm: »Sei nicht so schiach zu mir, denn du wirst nicht mehr lange leben! « Nach drei Monaten fand dieser Bergknappe bei einem Stollenunglück den Tod. Warum diese Frau aber so hartnäckig im Volksmund weiterleben konnte, war ihr Ausspruch: »Es wird eine Zeit kommen, da werden die Nassereither in den Höhlen hausen müssen und das Dorf wird mit Kanonen beschossen werden! Es dauert aber nicht lange, denn mit einem Laib Brot werden die Leute auskommen.«

In den letzten Kriegstagen 1945 war es tatsächlich soweit. Von Norden her wurde Nassereith von den Amerikanern beschossen, vom Westen von den letzten Resten der deutschen Wehrmacht. Die Leute hatten in den Bergwerksstollen und Höhlen Zuflucht gesucht, und beim Beten des Rosenkranzes wurde immer wieder dieser alten Hoatle gedacht, die vor rund 100 Jahren auf diese Tage hingewiesen hatte.


Quelle: Heimatbuch Nassereith, Nassereith 1987