Der wilde Mann

Zu Nauders liegt östlich vom Dorfe der Stableshof. Dort war seinerzeit alles Wald bis zur Valdifuoralm. Nur um den Hof herum war ausgerodet und Äcker und Wiesen hergerichtet. In diesem Walde hauste der wilde Mann. Von Zeit zu Zeit stattete er dem Hofe seinen Besuch ab. Doch die Hofleute sahen ihn nie gerne, denn immer spielte er ihnen böse Streiche. War das Vieh im Stalle, hängte er das ganze Vieh an eine Kette, daß es brüllte. Dann lief er wild lachend davon. Die Hofleute wußten sich keinen Rat, sie brachten das Vieh nicht mehr auseinander und mußten endlich schlafen gehen. Am nächsten Morgen aber war alles in bester Ordnung. An einem heißen Julitage, als die Hofleute gerade bei der Heuernte waren, kam er auch einmal aus dem Walde heraus und ging zum Hofe. Der Bauer sagte:

"Was wird er heute wieder anstellen, es ist ja kein Vieh im Stalle?"

Als die Bauersleute nach Hause kamen, fanden sie den Ofen in der Stube geheizt, und er sprühte eine derartige Hitze, daß es niemand in der Stube aushalten konnte. Die Steine glühten wie Eisen und von weitem hörten die Leute das schaurige Lachen des wilden Mannes.

Quelle: Dr. Hermann v. Tschiggfrey, Nauders am Reschen-Scheideck, Tirol, Innsbruck 1932, S. 50.