Doctor Theophrasts Tod

Da Doctor Theophrast zu Innsbruck verweilte, hatten die dortigen Aerzte fast gar keinen verdienst mehr, weil alle ihre Kranken ihnen untreu wurden, und sich zu Theophrast um Hülfe wandten. Theophrast war der Mann der Wunder, und Wunder hofft zuletzt der Kranke, wenn die Hoffnung auf natürliche Weise verschwindet. Theophrastus, das war allbekannt und in jedermanns Munde, konnte Geld machen, besaß den Stein der Weisen, eine Verjüngungsessenz, einen gezähmten Haselwurm, der ihm alle Geheimnisse der Welt offenbarte, und einige Spinnen, welche alle Gift auf- und an sich saugten und sogen, das in feindlicher Absicht dem Doctor nahegebracht wurde.

Die feindlichen Aerzte zu Innsbruck verschwuren sich aus Collegenhaß und Brodneid, dem Theophrast an das Leben zu gehen, nur wußten sie nicht recht, wie?

Wohl dachten sie an Vergiftungen, aber auch an die Antidota (Gegengifte), welche Theophrast ob Neides ebenfalls spinnefeind war, zu Diamantkörnern, als welche das stärkste Gift enthielten. Und so wurde Theophrast, durch Bestechung seines Dieners, in der That aufgelöste Diamantkörner beigebracht. Theophrast spürte bald genug die Wirkung, schloß sich alsbald ein, und befahl dem Diener, inner fünf Tagen die Thüre nicht zu öffnen. Dann setzte sich Theophrast in seinen Stuhl, nahm eine Kreuzspinne und ließ diese in seinen Magen hinunterkrabbeln, damit sie das böse gift heraufziehe. Selbige Spinne that auch redlich ihre Pflicht, sie holte jeden Tag einen Tropfen Gift, so viel als ein Diamantkorn, aus dem Magen durch den Schlund herauf. Den Diener aber plagte die Neugier, er begriff nicht, wie sein Herr so lange allein und ohne ihn leben könne, und öffnete schon am vierten Tag die Thüre. Ueber das Geräusch erschrak die Spinne, und ließ das letzte Gift wieder fallen, und nun konnte sie es nicht noch einmal aufsaugen. Solches wußte Theophrast, doch hatte er immer noch ein Mittel, sich im irdischen leben zu erhalten.

Er übergab seinem Diener das Gläschen mit der Goldtinktur und gebot ihm, den Inhalt in den Inn zu schütten, dann gab ei ihn auch ein Döschen voll Pulvers, und gebot ihm:

"Wenn ich gestorben sein werde und erkaltet, so zerhacke meinen Leichnam in kleine Stücke, lege ihn in diese eherne Truhe, streue dieses Pulver oben drauf, und öffne nach neun Monaten erst, und keinen Tag früher, das Gefäß. Dafür soll Dir reicher Lohn werden."

Der Doctor starb, die Goldtinctur lag, damit kein Nachfolger sie besitze, im Inn, dessen Wasser noch heute davon bisweilen goldhellen Glanz strahlt, und der zerhackte Leib des Wundermannes lag in der Truhe. Aber leider ließ die Neugierde den Diener nicht ruhen. Er öffnete schon nach sieben Monaten die Truhe, und erblickte mit Schreck in ihr eine menschliche Sieben-Monatsfrucht, die krümmte sich und starb vom Zutritt der kalten Luft.

So wurde Theophrasts Verjüngungsproceß vereitelt, und Theophrast erstand nicht wieder zum Leben, lebt aber in der Sage ewig fort, und selbst in Sagenbildern bei tirolischem Mummenschanz und bei Faschingszügen.

Quelle: Mythen und Sagen Tirols, gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Zürich 1857, S. 308f, Nr. 10