DAS STARKENBERGER SCHLOßWICHTELE

Auf dem Schlosse Starkenberg ohnweit Imst war, als es noch in seiner alten ritterlichen Herrlichkeit bestand, ein Bauer Pächter der dortigen Bauschaft, den man nur den "Schloß-Dasl" hieß. Dieser Mann, von dem noch weibliche Nachkommen leben, z. B. Bötti's Weib zu Tarrenz und die Bäuerin am "Baustadl" gleich unterm Schloß, starb vor achtzig Jahren, und schon ist sein Grabstein verwittert, aber dennoch spricht man noch vom "Dasl" und dem Wichtl das bei ihm gewohnt, Freundschaft mit ihm geschlossen und von dem er bis ins hohe Alter am liebsten und stetig erzählt hatte. Das Starkenberger Wichtl war gar ein gutes; es wiegte dem Gschloß Dasl seine kleinen Kinder, es trug sie, es molk der Dirn die Kühe und stellte die Milch vor die Kellerthür; es arbeitete überall rührig mit und hielt böse Gesellen vom Hause fern. Nun hatte aber selbiges Wichtl auch seine aparte Liebhaberei; wann nämlich recht starker Wind wehte, so war es flugs droben auf dem Schloßthurm, saß rittlings auf der Wetterfahne, ließ sich um und um drehen und trillen vom Sturme, und je ärger die Fahne knarrte und schnarrte, sich drehte und wendete, um so lustiger war das Wichtele und kicherte und lachte hellauf, wie ein kindischer Fratz thut, wenn ihn was freut. Und dabei klammerte er sich mit beiden Händen fest an das Fahnenblech, als ob ihm rechte Angst sei, herabzufallen, es war aber alles von diesem Reiterlein nur Neckelust, den Zuschauern Angst zu erregen. So gern aber der Wichtl mit anderen Spaß zu treiben liebte, so wenig verstand er sonderlich den Spaß, den andere sich mit ihm zu machen unterfingen. Einer Dirne, die ihm einen Possen gespielt, lauerte der Wichtl hinter der Thüre auf, wie sie gerade Mittags eine Schüssel voll Nudeln auftragen wollte. Plötzlich hüpft er ihr auf den Rücken, daß sie vor Schreck die Schüssel sammt den Nudeln fallen läßt, und sich noch dazu arg verbrennt.


Schloß Starkenberg

Das Kunststück, welches die Wichtlen sehr lieben, nämlich zwei Kühe mit den Köpfen in eine Kette zu hängen, daß man ohne die größte Mühe keine von der anderen losbringen kann, verstand und übte auch das Starkenberger Wichtl meisterlich. Bei übler Laune eine ganze Herde auf der Almtrift plötzlich auseinanderzusprengen, als ob sie der böse Feind reite, war auch ein nicht selten geübter Wichtlstreich. Einmal nahm dieser Wichtl, weil ihn jemand verzürnt hatte, die Winterkäse und rollte einen nach dem andern übern Roan (Rain), und dabei hat er, wie die Hirten erzählen, "schier g'schöllat g'lacht".

Selbiges Starkenberger Schloß-Wichtele hat bis zum Jahre 1808 ausgehalten, als aber das alte Schloß eingerissen wurde, ein neues Haus daraus errichtet, und dieses Haus eine Bierbrauerei wurde, welche dermalen der Frau von Strele zusteht, da wich das poetische Wichtele dem Haarzopfe des Philistertums und wird jetzt nimmer gesehen.

(Im Urtext aus: Mythen und Sagen Tirols von Alpenburg.)


Quelle: Imster Geisterbrevier, Hermann J. Spiehs, Imst 1936, Seite 30