Wie drei Handwerksburschen zu einem Schatz gelangten

Der Satan hat in Venedig eine Schule, in welcher die Schwarzkunst gelehrt wird. Er nimmt aber immer zehn Schüler auf, keinen mehr und keinen weniger, denn seine Leute bringt der Teufel immer zusammen. Collegiengelder [Kollegiengelder, "Studiengebühren"] begehrt er keine für seine Vorlesungen, wohl aber einen Zehnten, denn der Satan hält's mit der guten alten Zeit, da man noch Zinshühner und die zehnte Garbe reichte. So stellt er nun seinen Scholaren [Schülern] die Bedingung, dass er einen von ihnen holen dürfe. Wenn dann der Cursus [Kursus], der drei Jahre dauert, zu Ende ist, sucht er sich jenen aus, der ihm am besten gefällt, und gibt ihm in der Hölle drunten irgendein Amt.

Diese Satausschüler der Venediger Schule gehen nach vollendetem Schwarzstudium in alle Welt aus, um sich auf die gelernte Art Schätze zu verschaffen. Man heißt sie die Venediger Männlein, weil sie sich klein und alt und bucklig zu stellen verstehen. Viele aus dieser Schule sind schon in unsere Alpen gekommen und haben ganze Säcke voll Gold und Silber davongetragen. Wenn die goldene Last aber gar zu schwer ist, so dass sie selbe allein nicht fortzuschleppen vermögen, dann verwahren sie den Schatz unter allerlei Zauberei und Bannsprüchlein in einem sicheren Verstecke, bis sie ihn zu holen kommen.

Ein solches Venediger Männlein hatte einen schweren Sack voll Gold erbeutet und schleppte die Last durch die Wildschönau heraus. Nun trug es. sich zu, als es bei einem Buschwerk vorüberkam, dass es einen alten, vergessenen Steg erblickte, der über ein trockenes Bachbett führte.

"Was soll ich noch länger am Sacke schleppen?" sagte das Männlein; "da unter der Brücke ist er gut aufgehoben",

und es vergrub das Gold unter dem Steg, und während es den Sack verscharrte, bannte es den Schatz mit Zaubersprüchen und sagte zuletzt:

"So, der Schatz kann außer mir von niemand gehoben werden, es wäre denn, dass ein schwarzer Bock, der sieben Jahre mit lauter Hafer gefüttert wurde, über den Steg gienge."

Nun hatten sich nicht weit von der Brücke drei Handwerksburschen gelagert, die hörten, was das Venediger Männlein sagte, und warteten, bis es fort war. Dann stiegen sie aus dem Versteck und machten sich davon, einen schwarzen Bock zu kaufen. Den mästeten sie sieben Jahre mit Hafer und trieben ihn darnach über den Steg, unter welchem der Schatz lag. Der Bock war noch nicht hinüber, da sprang schon der Schatz aus der Grube, und die Gesellen theilten [sic] ihn unter sich und wurden reiche Leute.


Quelle: Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, gesammelt und herausgegeben von Johann Adolf Heyl, Brixen 1897,
Nr. 60, S. 98f