Die Schindhütte

In einem der schönsten und interessantesten Seitenthälchen des Zillerthales, der Stillup, steht auf herrlicher Alpenweide die sogenannte "Schindhütte". Über die Entstehung dieses Namens geht folgende Sage im Schwange:

Auf dieser Alpe waren einst drei Melcher, zwei davon recht lüderliche Gesellen. Einmal fiel ihnen in ihrer Gottlosigkeit bei, einer hölzernen Heiligenstatue, die im Tischwinkel aufgestellt war, einen Löffel voll Mus hinzuhalten, und forderten dabei den Heiligen, welchen sie darstellte, unter Hohn und Spott zu essen auf. Dies wiederholten dieselben fast bei jede Mahlzeit, obwohl sie der brave Senner davor warnte. Bald hatte indes der Übermuth der beiden Melcher den Höhepunkt erreicht. Als sie einst nach dem Abendessen das Bildnis mit Mus bestrichen, öffnete es auf einmal den Mund. Das mußte den Sennern doch etwas unheimlich vorgekommen sein, denn beim Schlafengehen entstand ein Streit unter ihnen, wer auf dem Heu zunächst dem Kaserraume liegen solle. Da entschloß sich derjenige Älpler dazu, welcher den heiligen nie verhöhnt hatte. Es konnte aber keiner schlafen und mit bangen erwarteten sie die Mitternacht. Plötzlich erblickten sie in der Kaser eine Gestalt, welche schon die Hände nach ihnen ausstreckte und rief:

"N'eacht'n findt i,
N'zwoat'n schindt i,
N' dritt'n schmeiß i ibach's Hitt'ndoch aus!"

So geschah es auch; nur dem Unschuldigen that der Geist nichts zu Leide, doch die andern büßten ihren Frevelmuth mit einem grauenvollen Tode.

Quelle: Sagen aus Innsbruck's Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung des Zillerthales. Gesammelt und herausgegeben von Adolf Ferdinand Dörler, Innsbruck 1895, Nr. 114.