Der gottlose Senner

Im Spertentale lebte einst ein gottloser Senner. Seine Frau war aber fromm und besuchte immer die Kirche. Ihren Mann wollte sie überreden, er soll doch in die Kirche gehen und ein gottgefälliges Leben führen. Alles war vergebens. An einem Werktag forderte die Frau ihren Mann auf, mit ihr spazieren zu gehen. Der Senner willigte ein. Die schlaue Frau führte ihn zum Harlaßanger-Kirchlein. Da der Mann merkte, daß seine Frau ihn in das Kirchlein führen wollte, sagte er: "Ich geh' jetzt zurück. Ich mag nicht in das Bethaus gehen." Die Frau antwortete ihm: "'S is ja gar kein Bethaus. Ein Wirtshaus ist's. Wer aber einen guten Trunk bekommen will, und zwar umsonst, muß oan (einen) Vaterunser beten." Dies gefiel dem Senner. Voll Freude ging er mit seiner Frau in das Kirchlein. Die Frau mußte ihm das Vaterunser vorbeten, denn er konnte es gar nicht mehr. Und als sie es beendet hatten und der Senner auf die guten Getränke harrte, packte ihn eine Furcht vor dem Teufel und er beschwor, wie ein gottesfürchtiger Mann zu werden. Was er auch wurde. Die Frau war glücklich, daß ihr Mann wieder zu Gott zurückgefunden hatte. Sie freute sich aber auch ihrer Schlauheit.

Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Unterland 1936, Nr. 17, S. 7
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).