Der Inngeist

Im Zusammenhang mit der wilden Innschiffahrt steht der Inngeist. In der Weihnachtszeit beginnt er seine Tätigkeit. Ganze Nächte geistert er im Inn herum und sucht sich ein Opfer. Mancher übermütige Bursche wollte ihn sehen und ihm einen Streich spielen, jedoch die Geschichte nahm ein ungewohntes Ende.

Der Geist kam an das Ufer und gab dem Betreffenden einen Ring; nahm er ihn, so sank er in das Wasser; nahm er den Ring nicht, dann wurde der Geist wild und zog unter Fluchen und Schelten ab.

Wenn ein Bursche den Ring nahm und in das Wasser gesunken war, kam der Geist und sagte: "Sieben Jahre mußt du mir dienen. Alle Jahre darfst du in der Weihnachtszeit den Inn verlassen, aber du mußt mir versprechen, nach drei Tagen wieder zu kommen und mit keinem ein Wort zu reden." Unter dem Wasser mußte jeder, ob Mann oder Weib, dem Geist geistern helfen. Wenn sieben Jahre um waren, konnte das Opfer den Inn verlassen.

Eine junge, schöne Bauerntochter, so erzählt die Sage, stand in der hl. Nacht am Ufer des Inns. Sie wollte den Inngeist sehen. Als er kam und ihr den Ring geben wollte, verließ sie das Ufer. Doch der Geist eilte ihr nach und riß ihr einige Haare aus. Sofort fiel sie um und war tot.

Andere Sagen berichten folgendes:

Ein Bauer wurde vom Inngeist in den Inn geführt. In der Weihnachtszeit verließ er den Inn. Er dachte sich aber: ,,Z' ruck geh i nimma." Die drei Tage waren um. Der Bauer saß in der Stube seines Hauses und spielte mit dem Nachbarn Karten. Auf einmal tat es einen Krach und der Bauer lag tot am Boden.

Anders erging es einem Fuhrmann. Dieser war auch in das Reich des Inngeistes gekommen und erhielt in der Weihnachtszeit drei Tage frei. Der Fuhrmann verließ sofort Tirol. Er war der Meinung, in einem fremden Land könne der Inngeist ihm nichts mehr anhaben. Wie hatte er sich da getäuscht! In der Nacht vom dritten auf den vierten Tage erschien ihm der Inngeist und zauberte ihn an das Ufer des Inns. Sein Leben lang mußte der Fuhrmann im Dienste des Inngeistes stehen.

Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Unterland 1937, Nr. 34, S. 7.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).