Die Almgeister aus dem Brixental

Wenn die Älpler im Herbst die Alm mit den Kühen verlassen haben, besuchen die Almgeister die Almhütten, mustern sie sorgfältig und sagen es dann ihren Brüdern und Schwestern, die im Berginnern hausen, daß es Zeit sei, in die Almhütten einzuziehen.

An welchem Tag die Geister in die Almhütten ziehen, wurde nie bekannt; manche sagen, die ersten Almgeister ziehen am Rosenkranzsonntag in ihre neue Wohnung. Nach einer anderen Überlieferung ziehen am Kirchtag alle Almgeister in die für sie bestimmte Almhütte.

Es beginnt nun ein neues Leben für die Almgeister. Während des Sommers hausten sie im Berginnern. Im Frühjahr wurden sie in das Berginnere gebannt; wenn der Senner auf die Alm kommt, so besprengt er alle Räume und Ställe der Alm mit Weihwasser, damit die Geister wegziehen. Nur hie und da wagt es ein Geistermännlein, das Berginnere zu verlassen. Kommen die Geister in die Almhütte, so kochen sie sich ein Mus. Nach dem Musessen richten sich die Geister alles zurecht. Ist dies getan, so streifen sie die Alm ab und bitten Gott, daß er sie vom Unglück verschone.

Über ihre Tagesarbeit ist wenig überliefert. Man weiß nicht, ob sie etwas arbeiten oder nicht. Da viele Geister auch Schatzhüter sind, werden sie sicherlich Schätze hüten müssen.

Eine besondere Zeit für die Almgeister ist die Weihnachtszeit. Am hl. Abend dürfen sie nichts essen, denn in der Christnacht kommen alle Geister von einem Tal an einem bestimmten Platz zusammen 1). Dort verrichten sie geheimnisvolle Dinge. Es wird auch Gericht gehalten über die Geister. Diejenigen, welche im abgelaufenen Jahr erlöst wurden, kommen in der Christnacht in den Himmel. Die anderen müssen auf ihre Alm ziehen und warten, bis sie erlöst werden.

In der Zeit der Rauchnächte dürfen die Geister die Almen verlassen. Manche begeben sich zu den Häusern, wo sie aber wieder vertrieben werden. Wenn der Bauer mit der Räucherpfanne kommt, müssen alle Geister das Weite suchen, falls sie nicht zugrunde gehen wollen.

Die Weihnachtszeit ist für die Geister eine harte Zeit. Sie können sich bei den Häusern nicht aufhalten, und auf der Alm ist es furchtbar unheimlich. Man sagt, daß ihnen Tod und Teufel in die Augen schauen.

Sind die Rauchnächte vorbei, dann können sich die Geister auf der Alm wieder wohl fühlen.

Über den Abzug der Almgeister sind mehrere Überlieferungen da. Wenn das Vieh auf die Alm kommt, sind die Geister schon längere Zeit dahin. Der Senner besprengt darum die Räume der Hütte und die Ställe, damit die Geister im Sommer nichts Böses tun können auf der Alm.

Am Karfreitag ziehen die Geister von der Alm. Jedoch am Ostersonntag kommen sie wieder. An diesem Tag müssen sie in der Hütte zusammenräumen.

Nach einer anderen Überlieferung ziehen die Geister, wenn es zu grünen beginnt, von der Alm. Sie müssen die Alm gegen Sonnenaufgang verlassen, um dadurch das Wachstum und die Fruchtbarkeit der Alm zu fördern.

Von dieser allgemeinen Darstellung der Almgeister weichen manche Sagen ab. Nachstehend folgen einige solche Sagen. Es gäbe eine Menge von Almgeistersagen, doch weisen sie nur örtliche Verschiedenheiten auf, weshalb sie weniger interessant sind.


1 Für das Unterinntal ist das Innere des Kaisergebirges die bekannteste Zusammenkunftstelle. Es gibt aber auch andere. (Anton Schipflinger)

Quelle: Anton Schipflinger in: Wiener Zeitung für Volkskunde 1937, S. 81 - 83.
aus: Sagen, Bräuche und Geschichten aus dem Brixental und seiner näheren Umgebung, gesammelt und niedergeschrieben vom Penningberger Volksliteraten Anton Schipflinger, zusammengestellt von Franz Traxler, Innsbruck 1995 (Schlern-Schriften Band 299).