Der Schlangenbanner

Nach Steeg hoch droben im Lechtale, wo die Fahrstraße endet und nur Fußwege zu den Höhen der stillen Alpenregion emporführen, kam einmal ein kundiger Mann, eine Art Zauberer, der sich herbeiließ, die Bergmähder (Bergwiesen) von den vielen Schlangen zu säubern, welche wegen ihrer immer mehr zunehmenden Menge die ganze Gegend unsicher machten. Der Schlangenbanner ging dahin, machte ein großes Feuer auf und las eine Zeitlang in einem Buche. Vorher aber mahnte er die Umstehenden, daß sie sich, sobald sie eine Schlange pfeifen hören, entfernen sollten, denn dieses sei dann die Königin, welche weiß von Farbe und mit einem Krönlein auf dem Kopfe anzusehen sei und die er verbrennen müsse, wenn die Gegend schlangenfrei werden soll. Der fremde Mann las nun wieder im Buche, und es kamen verschiedene Schlangen daher, eine nach der andern schoß in das Feuer und verbrannte. Kurze Zeit darauf hörte man die Schlangenkönigin pfeifen, sie kam - eine weiße Schlange mit einem goldenen Krönlein auf dem Kopf - dahergeschossen in großen Sprüngen, aber sie durchbohrte den Zauberer, der sogleich schmerzvoll endete.

Dieses ist geschehen in der Gegend, wo der Kaisertalbach in den Lech einmündet, Steeg gegenüber; dort war einstens eine Au. Der Schlangenbändiger - so sagen die Leute - ist von der Schlangenkönigin "getückt" worden, weshalb man diesen Platz die "Tückau" geheißen. Als die Au urbar gemacht und Häuser hingebaut wurden, blieb der Name, das Revier heißt noch jetzt "Tückenau".

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 165