Schlangenbann auf der Seiseralm

Über Kastelruth liegt die Seiseralpe, die eine Hochebene bildet, deren Umkreis 12 Stunden beträgt. Ihre Wiesen sind weit und breit die besten. Sie trägt 300 Sennhütten und 400 Stadel.

Auch auf ihr gab es vor vielen Jahren zahlreiche giftige Schlangen, welche durch ihre verderblichen Bisse den Bauern an ihrem Vieh empfindlichen Schaden anrichteten. Eines Tages, an welchem ungewöhnlich viel Vieh gebissen wurde, kam ein kleines, mageres Männlein zu einem Senn und erkundigte sich, wie es denn heuer mit der Plage stehe. Da der Senn sehr darüber klagte, gab ihm das Männlein ein Buch mit der Weisung: er solle ein großes Feuer machen, darum einen großen Kreis ziehen, und zwar durch Zusammenstellen geweihter Sachen, er selbst solle dann in den Kreis hineintreten und im Buche lesen. Er werde dabei fürchterliche Dinge sehen und hören, er solle sich aber darob nicht fürchten und den Kreis nicht verlassen, sonst sei es aus mit seinem Leben. Nachdem das Männlein dieses gesagt hatte, verschwand es. Der Senn tat ganz nach der Vorschrift. Er machte ein Feuer an, bildete um dasselbe einen Kreis mittels geweihter Gegenstände, trat in diesen Kreis hinein und begann zu lesen. Da kam eine Schlange nach der andern, zischte um den Kreis herum und sprang dann ins Feuer.

Endlich sah er eine große, weiße Schlange, die sich fürchterlich gebärdete und ihn zu verderben drohte. Da wurde ihm bange, und er hätte den Kreis verlassen, wenn ihm nicht früher das alte Männlein mit dem Tode gedroht hätte. Nach langer Zeit sprang dann auch die weiße Schlange in die Flammen und verbrannte.

Seither ist die Alm von den verderblichen Schlangen gänzlich befreit. Es ist dies nur eine Wiederholung der in Tirol so häufigen Schlangen- und Beißwurmsagen, bei der auch, wie fast immer, der weiße Wurm wiederkehrt. Ganz ähnlich wird auch zu Steinegg und ebenso zu Mittewald an der Eisack erzählt, nur daß dort der Schlangenbanner um sein Leben kommt.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 371.