Volksprophezeiungen in und um Innsbruck

Die Prophezeiung geht nicht selten mit der Volkssage Hand in Hand; ist sie ja doch selbst Sage, Aussage. Es ist dies nicht allein in Tirol, es ist auch in andern deutschen Ländern der Fall, meist ist die Wiederkehr großer Helden, das Schlagen großer Schlachten, große Volksnot oder eine gute Zeit, eine Zeit des Überflusses das prophetische Element, das diese Sagen durchdringt, und die Quellen derselben sind wohl nur in den bereits im Mittelalter häufig gedruckten Sybillen-Weissagungen wie in den kalenderhaften Prognostiken zu suchen, welche gleichzeitig begannen, in die Volkskreise einzudringen. Der Sagenreiche Untersberg bei Salzburg hegt, gleich dem thüringischen Kyffhäuser, den alten Barbarossa in seinen Tiefen, der einst wiederkehren und eine Befreiungsschlacht schlagen soll, anderer Beispiele nicht zu gedenken. Gegen Feinde des deutschen Volkes wie gegen Feinde der Christenheit richtet sich die volkstümliche Prophezeiung.

In Tirol lebt noch der Glaube an das ehemalige Vorhandensein eines alten prophetischen Buches, welches die Leute die "Willeweiß" nennen, das ist offenbar der verstümmelte Name von der Sybillenweissagung. Man hat solche Bücher, als schädlich und den Aberglauben nährend, überall, wo man ihrer habhaft werden konnte, weggenommen. Reste sybillinischer Weissagung gibt es noch manche in österreichischen und deutschen Sagen. In Böhmen stand bei Eisersdorf eine Sybillenlinde, und in Glatz ist die Rede von einer heidnischen Jungfrau, die weissagte. Solche Weissagung, und merkwürdigerweise fast immer dieselbe, geht zumeist dahin, daß an diesem und jenem Orte der letzte Türke erschlagen werden solle. Zu Eiba bei Saalfeld, im Werratale bei Borchfeld, in Bamberg, im Vogtland, am Rhein und in Schwaben findet diese sagenhafte Weissagung ihren Widerhall. In Tirol leben andere Erinnerungen, teils an die Schweizer Kriege zu Zeiten Maximilians I., teils an die Kämpfe einer jüngeren Zeit, an die Zeit der Franzoseneinfälle in das Land, an des Tiroler Volkes Erhebung, welche der Volksglaube und der Volksmund prophetisch weiterpflanzt. Noch wehen die Schauer der großen Schweizer Schlacht im Jahre 1499 über die Maiser Heide. Wie damals der bleiche Schrecken aus dem Vintschgau in das Inntal drang und abwärts flog, erhält der Mund der Volksprophezeiung frisch lebendig. So lautet diese unter andern: Auf der Ulfiswiese bei Innsbruck sind zu beiden Seiten der Poststraße Bäume gepflanzt; wenn dieselben einst so groß und stark gewachsen sein werden, daß man kräftige Pferde daran zu binden vermag, wird eine große Schlacht geschlagen werden, und zwar gegen die Schweizer. Dieselben schweizerischen Krieger werden aber vorwärts, d. h. den Inn abwärts über Hall und Volders drängen und die schöne Kirche an der Volderer Brücke, in welcher der Stein des Gehorsams verehrt wird, in einen Roßstall umwandeln. Hernach werden die Schweizer in das tiefere Inntal eindringen, erobernd, bezwingend und alles vernichtend hin und hin: diese sind jedoch Schweizer mit gefrorenen Schuhen. In dieser bedrängten Zeit werden in St. Johann im Leukentale die Glocken auf beiden Türmen im gleichen Augenblicke die Stunden schlagen. Alsdann werden die mit den gefrorenen Schuhen auch in Waidring einziehen, und es wird dann weit herum nichts als Elend zu sehen und Klage zu hören sein.

Andere sagen: Einst werden die Franzosen wieder in das Land fallen und die Schweizer zwingen, mitzuziehen. Dieser Krieg wird sich durch ganz Deutschland erstrecken und zu Köln am Rhein sein Ende gewinnen. Deutschland wird siegen, und Frankreich wird in sieben Teile zerstückelt werden.

Köln am Rhein, das alte heilige Köln, ist auch genannt in den oben erwähnten Prophezeiungen vom neuen Türkenkriege. Die Prophezeiung des Volks in Tirol malt das kommende Unheil, welches über das Gesamtvaterland hereinbrechen soll, sehr lebhaft aus, indem sie verkündet: Es wird unvermutet eine solche Kriegsumwälzung stattfinden, daß der Bauer vom Acker mit der Pflugschar, und die Bäuerin mit dem Küchelspitz vom Herd ins Gefecht stürzen werden. Es wird aber der blutige Kampf so schnell enden, daß der Bauer den stehengelassenen Zugstier wieder vorwärtstreiben und die Bäuerin ihre Küchel ausbacken kann. So lautete die Prophezeiung in Alpbach, Zillertal, Pinzgau und an der salzburgischen Grenze. Und während dieses kurzen, aber entscheidendsten Kampfes genügt ein Laib Brot auf der Flucht (so in Rattenberg und Wörgl). Wer auf die Flucht will, ist sicher genug, wenn er sich nur bei der Haselstaudengrenze versteckt. Die wenigen Leute, welche übrig bleiben, sollen dann bei der Volderer Brücke unter einem Lindenbaum oder Holunderbaum zusammenkommen: so in Volders, Voldererberg und Hall. Leider werden so viele Männer draufgehen, daß die Weibsleute um einen Stuhl raufen werden, worauf ein Mann einst gesessen hat (im Zillertal), doch die Überlebenden werden glücklich hausen können, und es wird so billig werden, daß man um einen Laib Brot ein ordentliches Heimatl (Anwesen) bekommen wird (so in vielen Teilen des Unterinntals).

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 117