Die Kröte in der Wallfahrtskirche

Eine Bäuerin aus Bayern, welche dicht an der tirolischen Grenze wohnte, verlobte sich nach der Wallfahrtskirche zur Muttergottes in Absam. Sie gelangte aber niemals dazu, zu gehen, ob aus Nachlässigkeit oder aus Mangel an Zeit, das erwähnt die Sage nicht. Dafür ist es aber der Bäuerin übel ergangen; denn als sie gestorben war, mußte sie den Weg zur Kirche nach Absam in Gestalt einer Kröte machen und hatte dabei viel zu leiden. Ein Bauer am Wege wollte sie erschlagen, ein anderer sie zertreten, ein dritter schleuderte sie über einen hohen Felsen, und der Mesner von Absam ließ sie nicht in die Kirche hinein. Zweimal schleuderte er sie zur Vorkirche hinaus, bis es ihr dennoch gelang, zum Gnadenbilde zu kommen, wo die Kröte die vordem Füßlein wie zum Gebete faltete, betete und dann als lichter Streifen zum Fenster hinausflog, worüber die Leute in der Kirche nicht wenig erstaunten. So ist also die arme Seele erlöst worden.


Pfarr- und Wallfahrtskirche Absam (1420/1440)
Westansicht
© Berit Mrugalska, 10. Juni 2004

Ähnliche Krötensagen wiederholen sich häufig in Tirol, so in Seefeld, auf der Hohen Salve, in der Totenkapelle zu Meran, in Schwaz usw. Eine bekannte Krötenmär, welche gern erzählt wird, lautet so: Eine Witwe wollte vor dem Sterben ihr Gut einem von ihren drei Söhnen übergeben, die sie ganz gleich liebte, so daß sie keinen bevorzugen, sondern den Zufall walten lassen wollte. Sie gab jedem ihrer Söhne etwas Flachs und sprach: "Wer von euch das schönstgesponnene Garn zurückbringt, der soll Häuschen und Gut zu eigen bekommen." Hierauf zogen die drei Brüder in die Welt. Der jüngste derselben war aber gar traurig vom Mütterlein gegangen, und wie er in einem großen, dunklen Wald sich verirrte, ward er noch trauriger; er kam an einen See, um den See ging er rundherum, um einen Ausgang zu suchen, und fand den See voll Kröten, Fröschen und andern Tieren. Und eine große Kröte kroch gegen ihn her, die sprach: "Warum so traurig? Fürchte dich nicht vor mir." Da erzählte der junge Mann, der Hansl hieß, seine Geschichte und sein Anliegen von wegen des Flachses. Die Kröte nahm ihm den Flachs ab, hüpfte in den See hinein und brachte alsbald das Garn zurück, welches sie selbst vom Flachse gesponnen hatte. Er bedankte sich schönstens und wollte heimwärts gehen; allein die Kröte befahl ihm, aus Dankbarkeit ein anderes Mal zum See zu kommen, eine goldene Rute, welche er neben dem See finden werde, aufzuheben, damit auf sie (die Kröte) drei Streiche zu schlagen, hernach noch dreimal in den See zu schlagen. Hierauf verschwand sie im Wasser. Hansl kam mit dem Garn zur Mutter, wo die anderen zwei Brüder lange schon seiner warteten. Er hatte weitaus das schönste Garn und erhielt Häuslein und Gut, worüber die zwei älteren Brüder gar keine Freude hatten. Aber Hansl eilte sogleich zum See, um voll Dankbarkeit dem Gebote der Kröte nachzukommen, und fand dort die goldene Rute. Er nahm sie auf, sah die Kröte und schlug sie dreimal tüchtig übern Rücken und - aus der Kröte ward auf einmal die schönste Jungfrau, mit einem prächtigen, weißen Silberkleid angetan, welches glänzte wie die Sonne, und noch schöner waren ihre Augen. Allein der Hansl sah nicht lange hinein, sondern schlug dreimal in den See, und statt der dunklen Wasser stand ein ländliches Schloß mit blühenden Auen und Wiesen vor ihm, auf welchem viele hundert Schafe und Milchkühe weideten. Und das Schloß hatte viele Türme, auf denen weiß-rote und weiß-grüne Fähnlein wehten, wie es bei den Schützenfesten der Brauch ist. Und als der Hansl noch immer zu träumen vermeinte und sich auf das Aufwachen fürchtete, da nahm ihn die holdselige Jungfrau bei der Hand, führte ihn ins Schloß, wo viele hundert Diener, Knechte, Jäger und Hirten ihm entgegenkamen und sich für die Erlösung bedankten. Der Hansl hatte sie alle errettet, denn seit 300 Jahren war das reiche Besitztum, nebst Schloß und Leuten, durch eine mächtige, neidische Hexe verzaubert worden. Die Besitzerin war eine Prinzessin und versäumte nicht, ihren Erretter zu heiraten, wozu seine Mutter und Brüder eingeladen wurden. Da schenkte er ihnen die Heimat und noch viel Geld dazu, und es war Glück und Segen und Freude viel Stunden in der Umgebung. Wo diese Begebenheit stattgefunden, wo der See gelegen hat, das weiß kein Mensch zu sagen, nur das weiß man, daß der Schauplatz Nordtirol gewesen sei.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 115