Die Seufzerin

Ein Mann aus Terlan, der in Affing wohnte, wandelte einst zu Tale, um seinen Heimatort und seine Eltern zu besuchen. Jenesien ließ er links liegen und schritt auf den Alten zu, einen mannigfach zerklüfteten Berg. Über Montigl kam er ins Tal herab und ruhte bei der Ruine des Schlosses Neuhaus mit dem schönen alten Turme, welcher über den wenigen Resten der Burgruine Maultasch emporragt. Da erblickte er im Schloßtore eine Frauengestalt sitzen, in alter Tracht, traurig und bleich im Antlitz und regungslos. Der Wanderer blickte scheu nach ihr hin, wagte keine Anrede und ging vorüber - da hörte er hinter sich die Frau laut und tief seufzen. Ein Grauen befiel ihn, er schritt weiter, die Seufzer der Frau folgten ihm, und immer war es, als sei sie ihm gleich nahe, obschon er sich immer mehr von ihr entfernte, bis ihre Seufzer endlich in einem jammervollen Gewimmer erstarben.

Hätte der Mann den Mut gehabt, so wäre hier ein Geist zu erlösen und vielleicht ein reicher Schatz zu gewinnen gewesen.

Quelle: Deutsche Alpensagen. Gesammelt und herausgegeben von Johann Nepomuk Ritter von Alpenburg, Wien 1861, Nr. 288.