Das Wunder von Seefeld

Vor Zeiten Hauste auf dem Schloßberg unweit Zirl ein überaus mächtiger und gefürchteter Ritter, geheißen Oswald Mülser. Der sperrte mit seinen Sassen und Waffenknechten die Straßen umher, und die Kaufteute und Pilgersmänner, die dahergefahren kamen, mußten ihm hohen Wegzoll entrichten, ansonst er sie mit sich führte, ihnen das Ihrige abnahm und sie in seinem Burgverließ verschmachten oder eines andern schmählichen Todes sterben ließ.

Dieser Mülser hatte zur Ehe eine geborene Starkenbergerin, eine wunderschöne, aber unmilde Frau, die niemals bei ihrem Eheherrn eine Vorbitte für die Gefangenen und Beraubten tat; vielmehr redete sie ihn wider solche auf, stachelte ihn überhaupt zu allem Bösen. Oswald Mülser war stark von Gliedern und hoch von Gestalt, also daß, wenn sein Gemahl neben ihm stand, kein schöneres Menschenpaar mochte gefunden werden. Seine Kraft und Stattlichkeit, dazu sein Ansehen und der mit Sünden erworbene Reichtum machten, daß er voll eitel Hoffart war und sich beinahe Gott verglich wie der Oberste der gefallenen Engel.

Einmal an einem Weihenpfinztag, da man schrieb nach unseres Herren Kunst dreizehnhundertvierundachtzig, saß der Mülser mit seinen Mannen zu Roß und ritt gen Seefeld zur Kirche des dortigen Klosters. Allda trieb er den Übermut so weit, nicht nur die heilige Speisung zu begehren - obwohl er nach Meldung etlicher wegen räuberischen Überfalles auf das Kloster Stams sich im Kirchenbann befunden hätte - sondern zu heischen, daß eine große hl. Hostie, wie die Priester sie beim Meßopfer aufwandeln, ihm gereicht werde. Der Pfarrer war ein ängstlicher und einfältiger Herr, der sich keiner Weigerung getraute. Also erschloß er das güldene Behältnis und reichte dem Ritter eine große hl. Hostie. Kaum aber hatte sie die Zunge des Ritters berührt, da Hub unter diesem der Steinboden der Kirche an zu weichen und zu wanken: er sank in den Grund, suchte sich in der Angst mit beiden Händen am Altar fest zu halten, doch der Stein gab nach, daß seine Hände sich eindrückten wie in Wachs. Da schrie Oswald zu Gott um Gnade, bat auch den Pfarrer, ihm die hl. Hostie, die blutrot geworden war, wieder aus dem Mund zu nehmen. Alsbald wich der Boden nicht weiter, sondern stand fest wie zuvor.

Zu der Hausfrau des Mülser, die seiner daheim harrte, kam ein Bote gelaufen und sagte ihr an, was zu Seefeld geschehen war. Sie wollte es aber nicht glauben, ließ ihn unsanft an und rief: "Eher glaube ich, daß auf diesem dürren Stocke hier Rosen wachsen!" Da sie so gesprochen, begann der verdorrte Stock, bei dem sie stand, zu grünen und trug gar schöne, schneeweiße Rosen. Darob erst recht erbittert, riß die Frau die Rosen herab und zertrat sie. Aber alsogleich verfiel sie in Wahnsinn, rannte tobsüchtig in den Scharnitzer Wald und starb dort am andern Tag eines jähen Todes.

Oswald Mülser ging in das Kloster zu Stams und sühnte seinen Frevel durch strenge Bußübungen, bis daß Gott nach zweien Jahren seine Seele dahinnahm.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff,, Innsbruck 1924, S. 150ff