Vom heiligen Einsiedel Romedius

Im vierten Jahrhundert nach unseres Herren Kunst ward der edle Jüngling Romedius auf dem Schlosse Thaur im Unterinntal geboren. Es lag ihm aber nicht viel an den Ehren und Reichtümern, deren er sich billig hätte erfreuen mögen, da sein Vater ein ritterlicher Graf war. Vielmehr, sobald er zu Verstände kam, trachtete er nur nach dem Reich Gottes und empfing in seinem Herzen das Wort Christi: "Verkaufe, was du hast; gib es den Armen und folge mir nach!" Also machte Romedius sich auf in einem ärmlichen Gewand und zog mit dem Pilgerstecken umher, an den Gräbern der Heiligen und Blutzeugen zu beten. Auf seiner Wanderung schloß er Freundschaft mit zwei adeligen Jünglingen, die gleichen Sinnes waren; mit denen wallfahrtete er gen Rom und kehrte unterwegs in Trient beim heiligen Vigilius ein. Darnach, als er in Sankt Peter am Grabe des Apostels mit großer Andacht gebetet hatte, ward er erfüllt von der Begierde, in der Einsamkeit einzig Gott zu dienen. Da kam er auf der Rückfahrt von Rom mit seinen Gefährten Abraham und David wiederum zu Sankt Vigilius und bat ihn: er möcht ihm eine Statt weisen zu einer Einsiedelei. Vigilius erfüllte sein Begehr und wies ihm die Statt in einer waldigen Öde im Nonsberg, wo ein hoher Felsen aufstieg. Dort fingen Romedius und seine Genossen den Bau der Klause an, zuerst auf einer niedrigeren Stelle. Aber jedesmal über Nacht wurden die hölzernen Dachschindeln von den Waldvöglein auf die Höhe des Felsens getragen; daraus erkannte Romedius: dies sei die Stelle, die Gott ihm erwählt. Also baute er sich droben an und lebte viele Jahre in Einsamkeit und Heiligkeit, kasteite seinen Leib mit Wachen und Fasten und diente Gott ohne Unterlaß.

Ansicht Thaur © Berit Mrugalska
Links die Burgruine Thaur, rechts das Romedikirchlein, Thaur
© Berit Mrugalska, 17. Juli 2005

Mit der Zeit aber, da seine Kräfte verfielen und er ahnte, sein Ende möchte nicht ferne sein, trug er Verlangen, Sankt Vigilius noch einmal zu sehen. Nun hatte er ein kleines Pferdlein, das er auf weiteren Wegen ritt, seit er zu Fuße nimmer recht fortkam. Das bestieg er und zog mit seinen Gefährten hindann. Unterwegs rasteten sie im tiefen Wald und ließen derweile das Pferd grasen; als sie aber wieder aufbrechen wollten, ging der Bruder David nach dem Pferd zu sehen und gewahrte mit Schrecken, daß ein wilder Bär es zerrissen hatte. Das sagte er bestürzt dem Romedius an; der aber gebot ihm, hinzugehen und zu dem Bären zu sprechen: "Ich gebiete dir im Namen des allmächtigen Gottes, daß du seinen Diener Romedius und dessen Habe, anstatt des Pferdes, das du getötet hast, fortan tragen sollst."

Im Anfang scheute sich David, das zu tun, doch hieß ihn Romedius ohne Furcht sein, so ging er hin und sprach, wie ihm gelehrt worden. Da bezeigte der Bär sich überaus sanftmütig, ließ sich willig Sattel und Zaumzeug des getöteten Rosses auflegen und ging unter dem Heiligen wie das frömmste Pferd.

Über eine Weile begegneten sie zwei betrübten Eltern, die führten ihre einzige Tochter, die war besessen seit Jahr und Tag. Als sie Romedius sahen auf dem Bären reiten, erkannten sie wohl, daß er ein heiliger Mann war, und riefen ihn um Hilfe für die Armselige an. Romedius, zu Tränen bewegt, stieg ab und kniete nieder und bat die Umstehenden, ihr Gebet mit dem seinigen zu vereinen. Da betete er so herzinnig, daß zuhand der Geist der Besessenheit von dem Mädchen wich. Ganz gleich erging es mit einem fieberkranken Mann, der ihm unterwegs aufstieß und durch die Fürbitte des heiligen Büßers geheilt ward.

Votivbild © Wolfgang Morscher
Votivbild im Romedikirchlein, Thaur
"Ex Voto 1851"
Der Heilige ist knieend als Pilger auf einem Wolkenband dargestellt,
hinter ihm sein Bär als Reitpferd
© Wolfgang Morscher, 17. Juli 2005

 

Es sandte aber St. Vigilius ihm Sisinius, Martyrius und Alexander entgegen, die nachmals durch die Märtyrerkrone geehrt wurden. Die brachten ihn und seine Gesellen zu Vigilius; da lebten sie etliche schöne Tage in seliger Vertrautheit. Als Romedius sich zum Scheiden rüstete, bat er Sankt Vigilius um seinen Segen und sprach: "Lieber Vater, von nun an wirst du mein Angesicht nicht mehr sehen, bittet alle für mich!" Da fragte ihn Vigilius: "Lieber Bruder, wie kann ich wissen, wann du aus diesem Leben abscheiden wirst?" Des gab ihm Romedius ein Zeichen. "Sobald du das Glöcklein deiner Kapelle von selbst wirst läuten hören, alsdann gedenke meiner und befiehl Gott meine Seele!"

Noch war Romedius nicht lange heimgekehrt, da fühlte er, daß seine Stunde gekommen war. Da nahm er Abschied von seinen Genossen und mahnte sie treulich zur Beständigkeit und brüderlichen Liebe und bat sie, seinen Leib in dem Kirchlein zu bestatten, das sie erbaut hatten neben der Klause; das war annoch nicht geweiht. Aber Romedius offenbarte ihnen, daß es geweiht werden sollte durch die heiligen Engel. Darnach empfing er den zarten Fronleichnam Unseres Herrn und schied selig von hinnen. Wahrend er verschied, hörten, die bei ihm knieten, eine himmlische Musik, so süß wie kein Ohr je vernommen. Zur Stunde aber klang in der Kapelle des heiligen Vigilius zu Trient das Glöcklein von selbst; da wußte Vigilius, daß sein lieber Bruder heimgegangen war. Und machte sich auf mit Trauern und kam zu Romedius Leichnam; den bestattete er im Kirchlein nach christlichem Brauch und hielt den Gottesdienst für ihn. Aber das Kirchlein zu weihen hatte er nicht Not, denn es waren die heiligen Engel herniedergestiegen und hatten es geweiht, so wie Romedius im Sterben vorhergesagt.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 71ff