Die Magd des Kaiphas

Es waren einmal zwei fromme Dirnen im Etschland, die hatten sich verlobt, nach Weißenstein zu wallfahrten und auf dem ganzen Weg zu beten für die allerärmste Seele, deren niemand mehr im Gebete gedenkt.

Sie mußten, da es im hohen Sommer war, den Berg hinan hart schnaufen und große Hitze ausstehen; aber sie ließen nicht ab, einen Rosenkranz nach dem andern zu beten und kamen glücklich nach Weißenstein hinauf.

Wie sie nun in die Wallfahrtskirche hineingehen wollten, stand vor der Tür ein uraltes Weiblein, das sprach sie an mit den Worten: "Viel tausendmal Dank sag ich euch für die frommen Gebete, durch die Ihr meine arme Seele aus dem Fegfeuer erlöst habt. Ihr sollt auch wissen, wem Eure Andacht zu nutz gekommen ist: ich war vor Zeiten die Magd des Kaiphas, des Hohenpriesters von Jerusalem. Christus der Herr hatte mich vom schweren Siechtum befreit, aber ich wollte nichts davon sagen und Gott nicht die Ehre geben, sondern machte mich eilends auf und trat in den Dienst bei dem Hohen Priester. Wie dann der Herr gefangen vor Kaiphas geführt ward, hat mir wohl das Herz geschlagen, aber ich hab mich nicht zu ihm bekannt aus Furcht vor den Juden. Daß ich also aus Menschenfurcht den Herrn verleugnet habe, dafür habe ich bis heute im Fegefeuer büßen müssen; jetzt aber bin ich durch Euch erlöst und darf in den Himmel eingehen."

So sprach das Weiblein und war sogleich verschwunden.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 31ff