Von Sankt Florinus

Florinus kam von frommen Eltern her; die waren aus England nach Rom gewallfahrtet und hatten einander dort zur Ehe genommen. Und soll die Mutter eine Jüdin gewesen sein, gar schön von Ansehen, die sich zum christlichen Glauben bekehrt. Darnach ließen sie sich nieder im Vinschgau, bei Matsch; dort war ihr Söhnlein geboren, das gaben sie, als es dem Knabenalter entwachsen, dem Pfarrherm von Ramüs in Zucht und Dienst. Der sah, daß der Jüngling fromm und verständig war und setzte ihn als Schaffner über sein Hauswesen. Florinus ward ein Wohltäter der Armen und diente dabei seinem Herrn mit Fleiß, denn das Gut ward nicht minder, sondern mehr unter seiner Hand. Es wurden aber der unsichern Zeiten wegen Wein und Getreide und andre Vorräte nicht in den Häusern, sondern in einem nahen festen Schloß verwahrt; dort mußte Florinus täglich den Bedarf seines Herrn abholen. Da sahen die Wächter des Schlosses, wie er unterwegs Almosen austeilte, das deuchte sie Verschwendung, und sie wurden ihm gram. Einmal hatte er Wein für seines Herrn Tisch in einer Flasche geholt; da begegnete ihm nahe vom Schloß ein armes Weib, die bat ihn um etwas Wein für ihren siechen Mann. Aus Mitleid goß ihr Florinus in ihr Krüglein den Inhalt der ganzen Flasche, ging dann zurück zum Schloß, um anderen zu holen. Aber der Torwart hatte alles gesehen und ließ ihn nicht ein, sondern wies ihn mit ruhigen Worten ab. Da ging Florinus in festem Gottvertrauen zum Brunnen, füllte die Flasche mit Wasser und trug sie heim.

Derweile lief ein anderer Wächter zu Herrn Alexander, dem Pfarrer, und sagte ihm alles an, was sein Diener täte; der Pfarrherr bedankte sich der Mahnung und verhieß, künftig scharf aufzumerken. Bei Tisch gebot er dem Florinus, den Wein einzuschenken, wohl wissend, es könne nur Wasser in der Flasche sein. Florinus, nach seiner Gewohnheit, begehrte den Segen vom Pfarrer und schenkte dann ein; da nahm es den Pfarrer groß wunder, daß er statt Wasser den besten Wein verkostete. Alsbald fiel er dem Florinus zu Füßen und sprach: fortan wollte er sein Diener sein, und Florinus, als ein mit solchen Gnaden Begabter, sollte des Priesteramtes walten. Dessen aber deuchte Florinus sich unwürdig, nahm Urlaub vom Pfarrer und ging in die Einsamkeit, um ganz seiner Andacht zu leben. Über eine Weile kam ihm die Erleuchtung: er sollt es doch tun; da trat er in den Priesierstand und empfing die heiligen Weihen. Darnach starb Herr Alexander, und Florinus ward sein Nachfolger und Pfarrer zu Ramüs. Und die Leute von Ramüs hingen mit großer Liebe an ihm, weil er nicht auf seinen Vorteil oder Mehrung seiner Einkünfte, sondern einzig auf das Heil und Wohl seiner Gemeinde bedacht war.

So waltete er Jahre lang zum Segen seiner Pfarrkinder; darnach fiel eine Krankheit ihn an, und er fühlte sein Ende herannahen. Da gedachte er, wie er auch im Tode nicht wollte von denen geschieden sein, die er im Leben so geliebt. Darum gebot er: wenn er gestorben wäre, sollten sie zwei Kisten machen, eine davon wohl mit Eisen beschlagen darein sollten sie seine Priesterlichen Gewänder tun. In die andere einfache sollten sie seinen Leichnam legen und sie unter die erste ins Grab senken. Denn seine Eltern und Blutsfreunde aus Matsch würden kommen und seinen Leichnam begehren; den sollten sie nicht erhalten, sondern nur die Kiste mit den Gewändern.

Darnach starb Florinus und ward mit vielen Tränen bestattet. Es ging aber alles, wie er gesagt hatte: seine Sippschaft kam, ihn zu holen, und die von Ramüs weigerten sich, das Grab zu eröffnen, wollten den Leib ihres liebsten Seelsorgers nicht hergeben. Die von Matsch aber zwangen sie mit Schlägen und Gewalt, daß sie das Grab öffnen mußten. Da ward die eisenbeschlagene Kiste sichtbar, und die Sippen des Florinus meinten, darin sei der Leichnam beschlossen und führten sie mit sich hinweg, ohne der anderen zu achten, die darunter stand. Des waren die Ramüser froh.

Aber wie die Zeit verging, so erblaßte das Gedächtnis des Florinus: Wenige wußten noch von ihm, und seine Grabstätte war vergessen. Da hatte der damalige Pfarrer Saturninus ein nächtliches Gesicht: zu drei Malen erschien ihm Florinus und gebot ihm, seinen Leichnam zu erheben und in der St. Peterskirche hinter dem Altare beizusetzen. Das hielt Saturninus für einen Traum. Darob schalt ihn Florinus, als er zum drittenmal erschien und gab ihm einen Backenstreich, davon ihm die Wange hoch aufschwoll. So glaubte er dann und betete mit dem Volke drei Tage lang, daß sie das Grab fänden. Des wurden sie gewährt; und da sie die Kiste öffneten, lag der heilige Leichnam völlig unversehrt vor ihnen, nur Haar und Bart waren ihm lang gewachsen. Es ward beschlossen, daß beides sollte abgeschnitten und der Leib mit Wein gewaschen werden. In
dem Schlosse war freilich Wein zu finden; aber da es im tiefen Winter bei großer Kälte war, fürchtete Saturninus, der Wein im Fasse möchte gefroren sein. Da antwortete das Volk, im Vertrauen auf Sankt Florini Verdienste: die göttliche Gnade, die sie einen so köstlichen Schatz habe finden lassen, vermöchte auch, den Wein fließen zu machen. Und wahrlich: da der Diakon Passinus, von Saturnin abgesandt, das Faß anschlagen ließ, floß dampfend warmer Wein heraus. Damit ward der heilige Leichnam gewaschen und darnach herrlich mit Gepränge hinter dem Altar der Kirche bestattet. Der Wunderwein, der zum Waschen gedient, wurde in einem Geschirr über der Gruft aufgehangen; und die sich mit einem Tröpflein davon benetzten, welch ein Siechtum sie auch haben mochten-Blinde, Krumme, Aussätzige und Besessene - wurden alsbald geheilt.

Es bekehrten sich auch solche, die an ihrer Seele mehr krank denn am Leibe waren. So kam ein edelbürtiger Herr, Rudolf vom Roten Wasser, der unter Kaiser Friedrich dem Staufer tapfer gefochten, sonst aber ein lasterhafter und üppiger Mann, aus dem Krieg zurück und hörte von den Wundern Sankt Florini. Da pilgerte er zum Grab und sah mit Augen, wie eine besessene Weibsperson geheilt ward; das wandte ihm das Herz um, so daß er sieben Jahre sich aller Tugenden befliß und im achten wallfahrtete er nach Jerusalem. In Calabrien traf er zwei andere Ritter, die wurden ihm Freunde und treue Gesellen, Gerhardus und Adelonus. Mit denen ließ er sich nieder in Graubünden in einem wilden Wald; da geleiteten sie Gott zu lieb die Wanderer und schirmten sie vor den Mördern und Dieben, deren es dort viele hatte. Und Rudolfus hat darnach noch ein Kloster gestiftet in Bünden und ist zuletzt im Schwäbischen gottselig verstorben. Solche Gnade tat ihm Gott durch die Fürbitte des heil. Florinus.

Quelle: Tiroler Legenden, Helene Raff, Innsbruck 1924, S. 84ff