DIE FRAU PERCHTL

In der Dreikönigsnacht, welche im obersteirischen Volksmunde die "Perchtlnacht" genannt wird, zieht die Frau Perchtl um und wandert über Berg und Tal.

Meist erscheint sie als ein uraltes Mütterlein mit Runzeln im Gesichte, weißen Haaren und zuweilen auch mit einem gekrümmten Rücken; ihr Gewand ist zerrissen und vielfach mit Flicken gestückelt. Scheinbar langsam und keuchend schreitet sie daher, doch ist dies nur Täuschung, denn ihr Schreiten gleicht der Schnelle des Wolkenschattens, der über die Talgründe flüchtig dahinzieht. In langer, endloser Reihe folgt ihr ein Heer zarter Kinder; es sind dies die Seelen der ungetauft verstorbenen Kinder. Doch gehen sie nicht paarweise oder gar in Haufen, sondern eines nach dem andern, und fest schritthaltend mit ihrer Führerin. Begegnet man einem solchen Zuge, so muß man das letzte Kind ansprechen und ihm einen Namen geben; dann wird dessen Seele erlöst und die Perchtl dankt einem für diese gute Tat.

Zuweilen erscheint aber auch die Frau Perchtl in Gestalt einer schönen Dame; man erkennt sie dann nur an ihrer langen Nase. Wen sie unterwegs auf unrechten Wegen ertappt, den zerreißt sie in tausend Stücke, oder sie schlitzt ihm den Leib auf, hüllt diesen mit Sägespänen und Häckerling und näht ihn dann statt mit Nadel und Zwirn mit einer Pflugschar und einer Eisenkette zusammen. An die guten und braven Menschen aber, wenn ihr solche begegnen, stellt sie eine Bitte, und wer dieser willfahrt, wird von der Frau Perchtl reichlich belohnt.

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In vielen obersteirischen Häusern und Hütten ist es noch jetzt Sitte, am Abend vor dem Heiligen Dreikönigstage nach der Mahlzeit auch eine Schüssel mit Milch auf den gedeckten Tisch zu stellen; man nennt diese die "Perchtlmilch". Man glaubt, daß in solchen Häusern die Frau Perchtl einkehre und samt den Kindern von der Milch etwas genieße. Hie und da ist es auch Brauch, daß von der letzten Speise des Nachtmahles ein kleiner Rest in der Schüssel für die Perchtl übrig gelassen werde; diese Schüssel bleibt mit den Löffeln, die jeder Tischgenosse aufgelegt hat, über Nacht auf dem Tische stehen. Die Perchtl genießt davon und wirft zuweilen einen Löffel um; wessen Löffel des anderen Tages nicht an seinem Platze gefunden wird, der muß innerhalb des Jahres sterben.

Den Mädchen wird von der Hausfrau eingeschärft, bis zur Perchtlnacht ja gewiß allen Flachs und Werg ganz vom Rocken abzuspinnen, weil sonst die Perchtl hineinnistet und den Flachs verwirrt, in welchem Falle dann die faulen Spinnerinnen keinen Segen bei ihrer Arbeit haben.

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Einst begegnete ein frommer, edelgesinnter Jüngling in der Heiligen Dreikönigsnacht einer Frau, die sehr schön und freundlich war, aber eine lange Nase hatte, auf der ein Heimchen saß und zirpte. Es war die Frau Perchtl, welche ein kleines Wäglein mit sich zog, auf dem allerlei schöne Sachen lagen. Sie hielt den Jüngling an, fragte ihn, wohin er ginge und sagte dann: "Hätte ich dich in dieser Nacht auf schlechtem Wege ertappt, so würde ich dich zu Asche zerreiben. So aber darfst du zu meinem Wäglein einen Nagel schneiden. Doch sollst du dazu ein großes Stück Holz nehmen, damit du recht viele Späne bekommst, die du jedoch alle einstecken mußt; denn wenn du einen derselben verlörest, würde es dich hintennach gewiß sehr reuen!"

Also tat der Jüngling, wie ihm die Frau Perchtl befohlen hatte. Er nahm ein großes Stück Holz und schnitzte daraus einen Nagel, den er der Perchtl gab; die Späne aber tat er alle in seine Taschen, und als er diese zu Hause umwendete, fand er sie gefüllt mit funkelnden Talern und Dukaten.

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Weit weg von menschlichen Hütten, tief im Innern des Waldes, am Fuße des Zeiritzkampels, wohnte ein blutarmer Mann mit seiner Familie. Er ging einst am Abend vor dem Heiligen Dreikönigstage aus, um einen entfernteren Nachbarn um einen Liebesdienst anzusprechen. Es war ihm nämlich ein Kindlein geboren worden und da suchte er nun für dasselbe einen Taufpaten. Wie er so dahinschritt und über seine traurige Lage nachdachte, begegnete ihm eine alte, sehr armselig gekleidete Frau, welcher eine Schar Kinder nachfolgte. Sein Blick blieb auf dem letzten Kinde haften; es war dieses so erbärmlich beisammen, daß es dem Manne in der Seele erbarmte und er, ohne daß er wußte, was er tat, voll Mitgefühl ausrief: "O du armes Zodawascherl!"

Da lächelte das kleine Kindlein gar selig, es hatte einen Namen bekommen und war nun erlöst. Die Frau Perchtl aber wandte sich nach dem Manne um, dankte ihm, daß er dem Kinde einen Namen gegeben, und verhieß ihm Glück und Wohlergehen. Darauf verschwand sie samt der Kinderschar.

Die Prophezeiung der Frau Perchtl ging in Erfüllung. Ein sehr reicher und wohltätiger Herr hob das jüngste Kind des armen Mannes aus der heiligen Taufe und hinterließ ein so wertvolles Geschenk für den Täufling, daß der Vater sich ein kleines Gut in der Nähe des Dorfes ankaufen konnte, auf dem er ordentlich wirtschaftete und bald durch Fleiß und Redlichkeit wohlhabend wurde.

Es war dies der Dank der Frau Perchtl und des erlösten Kindes.

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Eine Bäuerin in Kalwang hielt stets darauf, daß der Frau Perchtl das Ihrige zuteil werde, denn sie hatte eine große Ehrerbietung vor diesem geheimnisvollen Wesen, dem Schutzgeiste der armen, unschuldigen Kinderseelen. Daher stellte sie stets in der Perchtlnacht auf den mit frischem Linnen überzogenen Tisch eine Schüssel voll süßer Milch und um dieselbe mehrere Löffel. Dabei sprach sie in recht frommer Weise: "Segne es Euch Gott, Frau Perchtl, und Euch armen Seelen!"

In der Nacht dann, als die Hausbewohner schon schliefen, kam die Perchtl mit ihren Kindern, setzte sich zu Tisch, und jedes genoß einige Tröpfchen von der Milch; denn mehr benötigten sie nicht zu ihrer Wanderung auf Erden. In einem solchen Hause, wo man so derselben gedachte, war stets Friede und Glück unter dem Dache. Aber eines verlangt die Frau Perchtl, daß sie nämlich von keinem Hausgenossen beobachtet werde, insolange als sie im Hause weile und sich und ihre Kleinen mit der dargebotenen Milch erfrische. Nun hatte aber die Bäuerin einen sehr vorwitzigen Knecht, welcher über den Glauben seiner Dienstfrau lachte und spottete. Dieser wollte die Frau Perchtl belauschen. Als nun in der Heiligen Dreikönigsnacht die zwölfte Stunde heranrückte, schlüpfte der Knecht in den großen Zimmerofen, bohrte sich in diesen ein Loch und blickte nun unverwandt in die Stube und auf den Tisch hin. Auf einmal trat ein uraltes Mütterchen, mit Runzeln im Gesichte und schneeweißen Haaren auf dem Kopfe, langsam in die Stube; ihm folgte eine ungeheure Zahl kleiner, zarter Kinder nach, und es schien dem Knechte im Ofen, als ob selbe gar keinen Platz mehr fänden. Dies war wirklich die Frau Perchtl mit den ungetauften Kinderseelen. Nun bereute der Knecht seinen Vorwitz, aber es war zu spät. Die Perchtl hatte den Neugierigen bereits wahrgenommen und sagte zu einem der Kinder: "Decke die Lücke zu!"

Der Knecht hörte diese Worte vernehmlich, dann aber wurde es finster vor seinen Augen; er war von der Perchtl zur Strafe für seine unberufene Neugierde mit Blindheit geschlagen worden. Als dem Pfarrer des Ortes dies zu Ohren gekommen war, ließ er den Knecht zu sich rufen, befragte ihn über das Geschehene und riet ihm, in der nächsten Perchtlnacht wieder in den Ofen zu kriechen, vielleicht werde ihn dann die Perchtl sehend machen.

Der Knecht befolgte diesen Rat. Kaum war er im Ofen, so hörte er die Türe aufgehen, die Frau Perchtl langsam ins Zimmer treten und hinter ihr die Kinderschar mit den zarten Füßchen einhertrippeln. Sodann sagte dieselbe Stimme: "Decke die Lücke wieder aufs" Und, o welche Freude, der Knecht erblickte durch eine Spalte im Ofen den Tisch und darauf das Licht und die für die Perchtl zurechtgestellte Milchschüssel mit den Löffeln; im Zimmer selbst aber war niemand mehr zu sehen.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911