DER WEIßE HIRSCH

Drei Männer aus dem Dorfe Kalwang gingen in das Gebirge gegen den Zeiritzkampel zu auf die Pirsch. Sie vermeinten, diesmal gewiß großes Glück zu haben, denn es sei heute "der Hubertstag", und da schießt der Jäger in der Regel immer etwas Besonderes.

Als sie auf den Neolstein gelangten, sahen sie plötzlich aus dem Dickicht des Waldes einen weißen Hirsch heraustreten; zwischen dem Geweihe glänzte ein goldenes Kreuz, und eigener Silberschein umgab die Erscheinung. Die drei Männer blickten erstaunt auf das seltsame Tier, dann aber legten sie ihre Stutzen hinter ein dichtes Gebüsch und folgten dem weißen Hirschen, der sich langsam in des Waldes Dickicht zurückzog. Oft verschwand er vor ihren Blicken, aber immer wieder sahen sie dann hellen Glanz zwischen den dunklen Fichten durchschimmern. Als die Männer endlich auf diese Weise den Rand des Waldes erreicht hatten, sahen sie den weißen Hirsch hoch oben auf der Spitze des Neolsteins, und weithin glänzte das goldene Kreuz. Dann verschwand die Erscheinung, vor sich aber erblickten sie den Stiftsförster und ein Halbdutzend Jägerknechte. Der Förster gab einen Wink und die drei Männer waren umringt, man hielt sie für Wildschützen, da sie aber keine Büchsen hatten, ließ der Förster sie wieder laufen.

So war für sie die Erscheinung des weißen Hirsches wirklich ein Glück gewesen.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911