DER WARNENDE BERGGEIST

Unter dem gläubigen Knappenvolke herrscht überall, sowohl in Eisen- als auch Kohlen- und anderen Bergwerken, der Glaube an den Berggeist oder das Bergmännchen und dessen Gefolge, die kleinen Gnomen. Diese Vorstellung hat sich aus der grauen Vorzeit bis auf unsere Tage noch immer recht lebhaft erhalten und ist nicht ohne heilsamen Einfluß auf das Gemüt der Knappen, indem diese in einem steten, wohltätigen Grauen und in der Furcht Gottes erhalten bleiben. Der Glaube, daß der Berggeist den Bergbau selbst wie auch die Geschicke der Arbeiter im selben überwacht, gewährt dem Bergmanne Trost und Zuversicht bei seiner schweren und gefährlichen Arbeit in der dunklen Nacht der unterirdischen Tiefe. Alle unerklärbaren Vorkommnisse und Erscheinungen werden demselben zugeschrieben. Das Bergmännchen weist dem frommen und fleißigen Grubenmanne die dankbaren Stellen zum Aufschließen des Erzes an, er hilft ihm selbst bei der Arbeit oder warnt ihn, wenn schlimme Gefahren, böse Wetter oder unterirdisches Wasser drohen. Wohl gibt es Knappen, die den Glauben ihrer Kameraden nicht teilen und sich darüber lächelnd hinwegsetzen; wenn aber einem von ihnen etwas Menschliches passiert, dann hat sich an demselben nach der festen Überzeugung der gläubigen Genossen das Bergmännchen gerächt. Die Bergleute suchen daher alles zu vermeiden, was den gnomenhaften Beherrscher der unterirdischen Räume erzürnen könnte; sie hüten sich sorgfältig, den mächtigen Geist durch Schreien und Lärmen im Schachte und im Stollen zu reizen; vor allem aber wagen sie es nicht, etwaige Zweifel an dem Dasein desselben laut auszusprechen. Seine Rache ist furchtbar und schon mehr als einer hat seinen Frevel mit dem schrecklichsten Tode gebüßt. Wem aber der Geist wohlwill, dem hilft er, was er vermag, und warnt ihn sogar, wenn sein Leben bedroht ist.

Im Kupferbergwerke in der Teichen bei Kalwang arbeitete einst ein alter Hutmann mit mehreren Knappen. Er war ein treuer und fleißiger Arbeiter, der auch in sonstigen, auf den Bergbau bezughabenden Kenntnissen bewandert war und daher zugleich auch die Geschäfte eines Beamten versah, wodurch dem Eigentümer des Bergwerkes, der ehrwürdigen alten Benediktinerabtei an dem Ufer der steirischen Enns, welche ohnedies keinen wesentlichen Nutzen aus dem Betriebe desselben zog, einige Ersparnisse erwuchsen. Der Hutmann war der letzte aus jener Zeit, in der noch mehrere hundert Knappen im Bergwerke Arbeit und Verdienst gefunden hatten. Als dann der eigentliche Betrieb aufgelassen worden, wurden die meisten entlassen; nur wenige erfahrene Arbeiter blieben mit ihm zurück, um in sehr beschränktem Maßstabe den Bruch des Erzes fortzubetreiben. Diese älteren Kameraden waren nun nacheinander gestorben und der Hutmann mußte diese durch den Tod gelichtete Reihe durch frische Arbeitskräfte wieder ergänzen.

Es waren meist junge Burschen, die den tagsüber erworbenen Verdienst nächtlicherweile bei Spiel und Trinkgelage vergeudeten. Was aber den Hutmann zumeist kränkte und ängstlich machte, war, daß sie an dem Dasein des Bergmännchens zweifelten, von dessen wahrhafter Existenz er doch schon so viele Beweise zu haben vermeinte. Er ermahnte seine Knappen, ihren Zweifel ja nicht in der Grube selbst laut auszusprechen, das Bergmännchen könnte es hören und dann würden sie seine Rache zu fürchten haben. Aber die Knappen lachten den alten, abergläubischen Mann aus. Als einst der Hutmann mit seinen Leuten in der Grube arbeitete, vernahmen alle ein Klopfen, welches tönte, als hämmere jemand in einem anderen Stollen auf die Wand. Das Klopfen war deutlich vernehmbar und dauerte eine gute Weile. Der Hutmann blickte ängstlich umher und sagte: "Es droht uns Gefahr, das Bergmännchen warnt uns." Aber die Knappen lachten über diese Worte und arbeiteten ungestört fort.

Des anderen Tages vernahmen sie abermals das seltsame Klopfen, nur stärker und länger andauernd. Der Hutmann befahl den Arbeitern, das Tagwerk einzustellen und die Grube zu verlassen. Aber der Befehl wurde nicht befolgt und der Hutmann war genötigt, gegen seinen Willen zu bleiben, um die Leute zu beaufsichtigen. Als des Abends alle die Grube verließen, spöttelten sie abermals über des Hutmanns Ängstlichkeit. Am dritten Tage vernahmen die Bergleute das sonderbare Klopfen schon, bevor sie noch so recht eingefahren waren, und der Hutmann wollte sie von der Grubenfahrt abhalten, jedoch vergeblich. Als alle im Stollen angelangt waren, wo sie tags zuvor mit der Arbeit aufgehört hatten, bemerkten sie eine kleine, schwache Leiter an die Stollenwand gelehnt stehen. Sie verwunderten sich darüber, da ja doch dieselbe früher nicht hier gestanden sei. Das Klopfen selbst wurde immer stärker und stärker; zugleich schien es, als wenn unterirdische Wässer hervorbrechen würden. "Jesus! Maria! Heilige Barbara, steh uns bei!" rief der Hutmann ängstlich und stieg eilends die schwache Leiter hinan, während die anderen entsetzt dem ziemlich entfernten Ausgange der Grube zueilten. Aber es war zu spät! Mächtig drangen die unterirdischen Gewässer aus den Spalten hervor und erfaßten die flüchtigen Knappen, noch bevor diese den schützenden Ausgang erreicht hatten. Der Hutmann glaubte, jeden Augenblick müsse die schwache Leiter, auf welcher er stand, den heftigen Stößen der Fluten nachgeben und umfallen. Aber die Leiter blieb stehen, als wäre sie befestigt, und die mächtigen Wogen mochten noch so stark anprallen, sie wankte nicht. Als das Wasser immer höher stieg, kletterte auch der Hutmann weiter hinan, es schien, als ob die Leiter immer mehr die Höhe hinan strebe; und oben auf der letzten Sprosse erblickte er ein kleines Männchen mit langem, weißem Barte. Es war der Berggeist, welcher die Knappen vor der ihnen drohenden Gefahr gewarnt hatte.

Nach zwei Tagen hatten sich die unterirdisch hervorgebrochenen Gewässer wieder verlaufen. Als der entsetzte Hutmann die Grube verließ, erblickte er eine große Menschenmenge am Grubeneingange versammelt. Man legte eben die vom Wasser erfaßten und in demselben umgekommenen Knappen auf Tragbahren. Tränen rannen ihm über sein angstentstelltes Angesicht, als er seine unglücklichen Arbeitsgefährten entseelt vor sich erblickte. "Hätten mir folgen sollen! Wußten es ja, daß uns das Bergmännchen durch Klopfen vor der Gefahr warnen wollte. Nun ist's zu spät! Glück auf! Kameraden, werde nun auch bald folgen und meine letzte Grubenfahrt antreten." So sprach er und schritt gesenkten Hauptes dem traurigen Zuge nach.

Auf dem Friedhofe zu Kalwang war vor zwanzig Jahren noch ein kleines, leider sehr defektes Votivgemälde zu sehen, welches auf diesen Ausbruch der Gewässer im Kupferbergwerke sich bezog.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911