DER SCHATZ IM GREINERKOGEL

In der Nähe des Dorfes Tagensdorf im Schwarzatale bei Waldegg heißt ein Berg der Greinerkogel. Auf diesem soll einst ein Schloß gestanden sein, das aber snäter in die Tiefe versunken ist; ruinenartige Mauern und Löcher werden als die Überreste desselben bezeichnet. Diesen auf drei Seiten freistehenden Kogel bestieg nun in einer hellen Johannisnacht der vulgo Greinerbauer, um einen befreundeten Nachbarn, welcher hinter dem Berge wohnte, zu besuchen und ihn zu bewegen, ihm mit einer Geldsumme auszuhelfen. Der Greinerbauer war eben unverschuldet in Not und Elend gekommen und er wußte sich keinen anderen Ausweg, als seinen Nachbarn um freundschaftliche Hilfe anzusprechen. Leider war sein Gang umsonst, ihm wurde seine flehende Bitte rundweg abgeschlagen, und voll Traurigkeit über seine bittere Lage machte er sich auf den Rückweg.

Wie er nun so zu dem Mauerwerk gelangte, dessen Gestein, von glühenden Johanniswürmchen umschwirrt, ganz seltsam im zitternden Silberschimmer des Mondlichtes vom dunklen Moosgrunde sich abhob, tauchte plötzlich aus einem Loche ein kleines, schwarzes Männlein empor. Es zeigte mit seinen Händchen auf einen Schlüssel, welcher am Zweige des nahen Gebüsches hing, und bedeutete dann dem Bauern, ihm zu folgen. Dieser verstand die Gebärde des seltsamen Männchens, nahm den Schlüssel und schritt nun hinter seinem rätselhaften Führer daher.

Sie kamen, nachdem sie einige Zeit abwärts gestiegen, in einen Gang, dessen Zutritt durch eine schwere, eiserne Tür abgesperrt war. Auf den Wink des Männleins steckte der Bauer den Schlüssel in das Schloß und die Tür sprang sofort auf. Nun traten sie in ein Kellergewölbe, an dessen Wänden ringsherum vollgefüllte Geldkisten standen. Das schwarze Männchen setzte sich auf eine dieser Kisten, in welcher Silberstücke sich befanden, und sagte zum Bauern: "Laß dich durch das in den anderen Kisten befindliche Gold nicht blenden! Ich gestatte dir, aus dieser und nur aus dieser einen Kiste alljährlich in der Sonnenwendnacht so viel Geld zu nehmen, als du zu tragen imstande bist. Doch mußt du darüber strengstes Stillschweigen beobachten!"

Der Bauer versprach dies, füllte seine Taschen sämtlich mit blinkenden Silbertalern und verließ dann mit dem Männchen das Gewölbe. Wieder in das Freie getreten, war mit einem Male der kleine Schwarze verschwunden, und nur die schweren Geldstücke in den Taschen überzeugten den überglücklichen Landmann, daß es keine Täuschung, sondern Wirklichkeit gewesen, was er erlebt hatte.

Alljährlich bestieg nun der Bauer in der Johannisnacht den Greinerkogel, fand hier am Gebüsche den bekannten Schlüssel, mit dessen Hilfe er die schwere Tür öffnete, und nahm aus der einen ihm vom schwarzen Männchen bezeichneten Kiste so viel Geld heraus, als er brauchte. Damit bezahlte er dann seine Schulden, baute sich ein neues Wohnhaus, ausgedehnte Stallungen und Wirtschaftsgebäude und kaufte auch die umliegenden Gründe, so daß er bald der reichste Bauer in der Gegend wurde.

Das Glück war auf diese Weise unserem Greinerbauern hold, aber eben dies erregte die Mißgunst und den Neid der Nachbarn. Sie schöpften Verdacht, daß er auf nicht ganz natürliche Weise zu seinem Reichtume gekommen, und beschlossen, ihm sein Geheimnis zu entlocken. Es gelang ihnen auch nur zu gut, denn der redselige, in seinem Glücke mitteilsame Landmann erzählte einmal, als er bei besonders froher Laune war, den Leuten von dem Schatze im Greinerkogel.

Als er aber in der nächsten Sonnenwendnacht wieder den Greinerkogel hinanstieg, fand er wohl den Schlüssel an der bekannten Stelle, in der Kiste hingegen statt der Silbertaler nur Kieselsteine. Enttäuscht verließ er das Gewölbe und ging von dannen; hinter ihm aber ertönte ein höhnisches Lachen und Kichern, welches aus dem zerfallenen Gemäuer kam. Und seitdem hat niemand mehr den Schlüssel gesehen oder gefunden, welcher zur Tür des Schatzgewölbes gehörte; auch der Schatz selbst wurde seither von keinem Menschen mehr benützt.

Eben dieser Greinerbauer hatte damals, als ihm das kleine, schwarze Männchen erschienen und ihm aus der Not geholfen, ein Büblein angenommen, welches er, da es ihm zu irgendeiner anderen Arbeit untauglich schien, zum Halten der Schafe und Rinder verwendete. Dieses Knäblein wurde nie größer und hielt sich mit seiner ihm anvertrauten Herde am liebsten in der Nähe des alten Gemäuers auf dem Greinerkogel auf. In derselben Johannisnacht aber, in welcher der Bauer das letztemal im Schatzgewölbe gewesen, kamen die Schafe und Kühe ohne das Halterbüblein nach Hause; dieses wurde seither nicht mehr gesehen.

Das Glück blieb jedoch auch ferner dem Greinerbauern treu.

Sagen aus der grünen Mark, Hans von der Sann, Graz 1911