Der Hirsch vom Berglober.

Einer der letzten Ritter von Stein war ein grausamer und harter Mann, dessen Inneres auch von Stein zu sein schien, während seine Ehefrau menschenfreundlich und tugendhaft, das gerade Gegenteil ihres Mannes war.  Besonders streng verfuhr der Ritter mit seinen Untertanen, Über die er beim geringsten Versehen die grausamsten Strafen verhängte.

Eines Tages nun hatte der Sorstwart des Ritters den Bauern Berglober gerade dabei ertappt, wie er aus dem Sorste einen Hirschen seinem Bauernhöfe zutrug. Der Bauer warf, als er sich entdeckt sah, die Beute rasch von sich und lief, so schnell er konnte, davon. Doch der Ritter schickte ihm seine Häscher nach, und diese machten den Armen bald ausfindig und brachten ihn vor den erzürnten Schloßherrn. "Hast du nicht gewußt, daß dir das Jagen verboten ist? schnauzte der Ritter den Bauern an.

Doch dieser antwortete: "Verzeiht, gestrenger Kerr, was ich verbrochen, denn die Not trieb mich dazu. Ich habe ein krankes Weib und Kinder zu Hause, und kann sie bei diesen schlechten Zeiten nicht sortbringen, zumal mir der kürzliche Schauer die ganzen Felder verheert hat. Verzeiht, gestrenger Kerr!

"Aha, und da fandest du den Ausweg, mir das Wild zu stehlen. Doch warte, Bursche, das soll dir teuer zu stehen kommen, brüllte ihn der Arge an.

Vergebens bat und klagte der Arme seine Not, der grausame Ritter befahl, ihn in den Turm zu werfen. Der Bauer erbleichte; denn unter dem Namen Turm verstand man den Inbegriff aller Schrecknisse; es bedeutete so viel wie Verurteilung zum Hungertod.

Einst stieß man den Verurteilten durch ein Loch hinab in den tiefen Raum, wo Spitzen aus dem Boden hervorragten, die den Gefangenen elend zerfleischten; doch dies war untauglich geworden und hatte man weggerräumt; dafür aber war der Arme jetzt nicht besser daran. Denn Finsternis, dumpfe, feuchte Luft und schreckliche Verlassenheit waren allererst seine Gefährten. Berglober gebärdete sich dort wie ein Verzweifelter und bat den Herrgott, ihn doch baldigst von dem elenden Leben zu befreien. Was der Ritter beschlossen, war auch der Burgherrin zu Ohren gekommen, und sie befahl einer Magd, dem armen Gefangenen alltäglich ein Töpflein voll Milch durch das Falljoch hinab zu lassen. Tag für Tag brachte die Magd die Milch und ein Stück Brot dem Bauern zum Kerker, ohne Wissen des Ritters.

Und so fristete der Berglober durch sieben Jahre sein Leben. Da starb die gutherzige Burgfrau und die Magd ward auch entlassen. Der Gefangene, für den die täglichen Milchlieferungen aufhörten, erlag bald darauf dem grausamen Hungertode.

Kurze Zeit darauf Murde die Burg gebrochen und der hartherzige Ritter elend ums Lebens [sic] gebracht. Das Schauderhafte aber ist, daß er bis zum heutigen Tag in finsteren Nächten als klagender Geist erscheinen soll, der den verschmachteten  Berglober sucht.                                 
(Zoder, Schönes, grünes Alpenland.)

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Anders erzählte diese Sage ein alter Bauer. Ein grausamer Pfleger ertappte den Polizekbauer beim Hirschjagen und ließ ihn in den Fallturm werfen, damit er dort verhungere. Des Gefangenen erwachsene Tochter aber schlich sich in den Nächten um die Burg herum, bis sie ein Loch entdeckte, hinter dem der Vater seufzte. Allnächtlich nun brachte die brave Tochter dem Gefangenen ein Tröpflein Milch, bis das Mädchen entdeckt und an der weiteren Ausübung ihrer Kindesliebe verhindert wurde.

Quelle: Burgsagen aus Steiermark, P. Romuald Pramberger, Seckau 1937, S. 30.
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