250. Schrattelsage aus dem Ennstal.

Vor mehreren hundert Jahren lebte in Pürgg, dem Pfarrdorfe am Fuße des wilden Grimmingstockes, ein Mann, der im Verdachte stand, seine Seele dem Teufel verschrieben zu haben. Er hieß Andreas Mitterstorfer und galt als der Reichste weit und breit. Seine Felder waren gut bestellt und das Vieh auf den schönen Wiesen fett und prächtig; von der Jagd kehrte er stets mit schwerer Beute heim, an Geld fehlte es ihm niemals, und was er sich nur wünschte, erhielt er auf der Stelle. Aber die Leute alle auf zehn Meilen in der Runde beutelten dazu bedenklich den Kopf, denn es war bekannt, der böse Feind bringe ihm Alles; saß ja der Mitterstorfer stets in der Kirche nur mit geschlossenen Augen da, weil er dem Höllenhund geschworen, unsern Heiland und Herrgott nicht mehr anzuschauen.

Andreas Mitterstorfer hatte auch ganz eigene Redensarten, so daß den christgläubigen Zuhörern bei seinen Erzählungen ganz grausig zu Mute wurde. So sagte er z. B. manchmal: „Siebenmal und neunmal sieben bringen Glück, das steht geschrieben!“ - oder: „Schwarz oder weiß, das gilt Alles gleich, wenn mans nur gut hat auf Erden.“ Wenn den Andreas Jemand ärgerte, so brach er immer in eigene Verwünschungen aus, wie: „Daß Dir der Gleckwurm *) die Zunge abbiße!“ - oder: „So trappl' ausi, wo aufm Dachstein und um den Scheichenspitz die Hechsen tanzen!“ u. s. w. Der Mitterstorfer wußte all die Geschichten vom Blutmandl von Rottenman, von den Goldlacken und vom Wasserweib u. dgl. mehr; er wußte auch, wie man es angehen müsse, um mit einem Gespenste zusammenzukommen und dasselbe sich dienstbar zu machen, und er kannte auch gar wohl die Vorsichten, die man dabei anwenden mußte, wie z. B., daß bei einem nächtlichen Verkommnis mit einem Berg- oder Wassermandl nie der Name einer Dirn genannt werden dürfe, sollte nicht Alles dahin sein, u. s. w. Auch wollen die Leute einmal gehört haben, wie Andreas Mitterstorfer sagte: „Auf der Welt sind zweierlei Güter dem Menschen beschieden, nämlich die himmlischen und die Schätze der Erde; zu ersteren geht man ein durch Kirche und Sakristei, zu letzteren gibt es andere Schlüssel, die den Himmel gar nichts angehen. Wer einen dieser Schlüssel im Sacke hat, kann die ganze Welt auslachen und doch noch vor der letzten Musterung selig werden. Wenn wir's begehren, betet der Priester an unserem Totenbette Alles von uns herunter, und wir scheiden freudig und rein ab und haben doch das Leben genossen und Alles gehabt, was das Herz erfreut. So will auch ich es einstens machen und den schwarzen Erdgeist brav hinters Licht führen zum schuldigen Danke für den Schlüssel, den er mir gegeben.“

Solche Reden führte Andreas Mitterstorfer, und kein Wunder, wenn es den Leuten dabei grausig zu Mute wurde, wenn sie ihm auswichen und ihn mieden, wenn es nur halbwegs möglich war. Doch machte er sich scheinbar nichts daraus, er tat recht vornehm, als hänge Alles von ihm ab.

Anders aber war es daheim in seinem Häuschen, das wenig abseits von der Pfarrkirche lag. Da war der Andreas bei Weitem nicht mehr derselbe, wie er es vor den Leuten schien. Immer tönte ein krächzender Ruf an sein Ohr, bei dem er jedesmal zusammenzuckte. Er hatte in der Bodenkammer auf einem Steigbaum einen Raben, einen alten verhutzelten Kerl von einem Raben mit ergrautem Kopfgefieder und glutroten Augen, die durch das dickste Brett sahen. Nichts blieb diesem Raben verborgen von dem, was sich im Hause begab, denn er war ja ein höllischer Knecht und Paßauf, den sein finsterer Meister in das Haus des mit Leib und Seel dem bösen Feind verschriebenen und verpfändeten Andreas Mitterstorfer befehligt hatte. Seit einiger Zeit diente er dem Anderl faul und paßte dagegen umso fleißiger auf, weil ein wichtiger Zeitabschnitt herannahte, der Schluß und das Erlöschen des höllischen Kontraktes.

Nur wenig mehr über sechs Wochen hatte Mitterstorfer Frist, dann war sein Leib und seine Seele dem Teufel verfallen. Eine Verlängerung des Vertrages war nicht zu hoffen, wenn nicht Andreas entweder eine arme unschuldige Seele anstatt der seinigen zum Untergange weihen oder aber eine noch unschuldigere mittelst der Ehe unauflöslich an sich binden würde, um sie zeitlich und ewiglich zu verderben und ihre Kinder, wenn deren kommen, dem Teufel zu eigen zu geben gleich nach ihrer Geburt.

Wenn auch Andreas Mitterstorfer hin und her dachte und darüber nachsann, wie er dem Schrattel - denn ein solcher war der Rabe - absagen, sich aus der Macht des Bösen befreien könnte, so sah er dennoch nirgends einen andern Ausweg, wollte er nicht, daß all sein Hab und Gut zu Asche und Kohle werde, all sein Reichtum zu Staub, sein Feld und Wald zu ödem Gesteine, seine Herde zu abscheulichem Aas, sein nettes Häuschen zur einstürzenden Keusche. So blieb ihm nichts übrig, als mit sich noch ein anderes Wesen dem Bösen zu überliefern und dabei dachte er an die „schneemilchperlblühweiße“ Hanni, die Tochter des Meßnerjosels. Diese gefiel ihm gar sehr, diese dachte er an sich zu ketten, seinen Reichtum mit ihr zu teilen, dafür aber sie auch zeitlich und ewig unglücklich zu machen.

Zum Glück aber wollte die schneemilchperlblühweiße Hanni vom verrufenen Andreas Mitterstorfer nichts wissen, sie mochte ihn nicht leiden trotz all seines Reichtumes, von dem sie ja hatte sagen gehört, daß der Teufel seinen Anteil daran habe. Noch mehr ausschlaggebend aber war, daß sie ihr Herz einem armen Burschen geschenkt hatte. Dieser hieß Hiesel und der Meßnerjosel war sein Göd **), Hiesel war freilich arm, aber das machte nichts, er erhoffte sich, da er Jäger im „Neuhausergschloß“ war, vom Herrn von Praunfalk einen guten erträglichen Posten, und zudem war sein Göd ein guter Freund zu seinem seligen Vater; Beide hatten es ausgemacht, daß der Hiesel die Hanni heiraten soll, wenn sie einmal groß geworden sind. Und daran hielt der Meßnerjosel fest, hatte ihm ja der Pfarrer von Pürgg gesagt, daß ein gegebenes Wort, ein Versprechen dem Eide gleich zu halten sei; nur der Tod des Hiesels könnte ihn davon entbinden.

Dies wußte nun Andreas Mitterstorfer, der zu verschiedenem Male den Meßnerjosel für sich zu stimmen versucht hatte. Er wußte auch, daß dieser für Geld und Reichtum empfänglich sei und gegen ihn gewiß nichts dawider haben würde, wenn nur das Versprechen nicht gewesen wäre. Er versuchte nun, den arglosen Hiesel an sich zu ziehen, erzählte ihm von Schätzen u. dgl. und bewog ihn endlich, zur Jagd auf die Weiße Gemse mit den Silberkrikeln. Andreas lieh dem Hiesel sein bestes Gewehr und trug sich an, ihm den Weg zu zeigen; er sagte, er wüßte, wo die Weiße Gemse umgehe und hätte sie wohl öfter erlegen können, wenn er ein reiner Junggesell gewesen und niemals ein Dirn in Unehren geküßt hätte.

Während Hiesel sein Gewehr zur Kirche trug und es weihen ließ trat Andreas vor den Raben hin und sprach: „Jetzo, alter Schratthannsl, jetzo laß mich nicht stecken! Mit dem Tod des Hiesel hat sein Reich bei der Hanni ein Ende und das Madl wird so mein als Dein - mit allen Kindern, die da kommen werden. Bist Du dann zufrieden und legst Du mir dann zehn Jahrln zu?“ - Der Rabe auf dem Steigbaume schnalzte beifällig mit seiner dickgeschwollenen Zunge, was so viel heißen sollte, als: „Ja!“ - „Du mußt mir jedoch helfen, schwarzer Hansel!“ fuhr der Mittterstorfer fort; „stell dem Hiesel ein Blendwerk vor und wandle Dich zur rechten Zeit aus einem schwarzen Rabenvieh in die Weiße Gems mit den Silberkrickeln. Zeig Dich uns in dieser Gestalt auf dem wilden Grimming, unterm Scheckelsprung. Das Weitere mach ich schon selbst. Willst oder willst nicht?" - Der Rabe schnalzte noch einmal, also wieder: „Ja!“ rief aber dann dem vergnügt zur Tür hinausgehenden Andreas nach: „Noch drei und vierzig, noch drei und vierzig!“ Doch Andreas, während er sonst bei des Schrattels Mahnung jedesmal erschreckt zusammenfuhr, achtete jetzt nicht darauf.

Des anderen Tages Früh kam Hiesel zu Mitterstorfer. Er erzählte ihm, daß er des Nachts die Vorschau ***) gehabt. Es sei ihm nämlich vorgekommen, als sähe er sich selbst voll von Blut und sterbend im Abgrunde am Scheckelsprunge liegen; Würmer und Wegnarren ****) krochen an ihm herum und fraßen ihm die Augen aus. Andreas redete dem Hiesel alle Furcht aus, und Beide stiegen nun den Grimming hinan. Das Wetter war ausgesucht günstig für die Jäger, es war ein „rechter Kaiser-Karl-Tag“, mit stiller Luft und mildbedecktem Himmel, ohne Sonne und ohne Nebel.

Als sie nicht mehr weit vom Scheckelsprunge entfernt waren, sahen sie von Felszacke zu Felszacke die Weiße Gemse mit den silberglänzenden Krickeln springen. Diese lockte die Jäger von einer gefährlichen Stelle zur andern, wie es eben der Mitterstorfer wünschte, und als sie endlich zu jener Stelle kamen, die er zu seiner schwarzen Tat auserkoren hatte, da beredete Andreas den arglosen Hiesel, die Gefahr nicht zu scheuen, und hinunter in den Abgrund auf den Anstand sich zu lassen, da komme ihm die weiße Gemse ganz sicherlich, oder es sei kein Schützenglück mehr auf Erden. Hiesel besann sich nicht lange und rutschte, die Büchse hochhaltend blitzschnell nieder. Nun rollten ihm schwere Felsblöcke nach, die Andreas in teuflischer Bosheit in Bewegung gesetzt hatte; doch die Steine taten dem Hiesel keinen Schaden, rollten an ihm zur Seite vorüber und stürzten in die Tiefe, Hiesel erkannte nun die Absicht des Mitterstorfers; er wußte nun, daß ihn Andreas hieher gelockt, um ihn zu verderben, und dann die Hanni zum Weibe zu nehmen, Hiesel sah vor sich den tiefen Abgrund und hinter sich die steile Wand, so schien sein Schicksal entschieden. Da erblickte der Arme plötzlich jenseits des Abgrundes, gegenüber dem Scheckelsprunge die weiße Gemse mit den Silberkrickeln. Voll von Hoffnung legte Hiesel das Gewehr an, aber in diesem Augenblicke stiebt der Silberglanz wie im Winde auseinander und anstatt der Gemse schwingt ein kohlschwarzer Rabe sich empor, lacht den armen Schützen höhnisch aus und schießt dann pfeilschnell in den Abgrund nieder, wo er verschwindet.

Vor Bestürzung entglitt das Gewehr Hiesels Hand und folgte dem Raben in die Tiefe. Dem Armen war nun kein Zweifel mehr, daß sein letztes Stündlein vor der Tür, daß er ein Opfer teuflischer List, und daß ihm nichts mehr übrig, als zu beten und sich auf einen schrecklichen Tod vorzubereiten.

Doch die Sache kam anders!

Andreas Mitterstorfer war, nachdem er sich sicher wähnte, daß Hiesel unrettbar verloren und keine menschliche Hilfe mehr möglich sei, rasch den Grimming hinab gestiegen und hatte unter Wehklagen überall die traurige Kunde erzählt. Als davon auch der Pfarrer hörte, nahm er das Hochwürdigste, um dem Unglücklichen wenigstens ans der Ferne das heiligste Sakrament zu spenden. Ein frommer Zug schloß sich dem würdigen Priester an, und rüstig emporklimmend am steilen Grimming gelangten sie bis an jenen Schluchtrand, wo die Gemse mit den Silberkrickeln sich in den schwarzen Raben verwandelt hatte.

Der Pfarrer zeigte dem Jäger an der Felswand die Monstranze und betete mit aufgehobenen Händen die Sterbegebete; der Unglückliche kauerte sich auf seinen Knieen und empfing den letzten Segen andächtig aber stumm. Nun riefen einige Männer, welche möglichst nahe hinauf geklettert waren, dem Hiesel zu, er möge sich in den Abgrund stürzen, es sei besser so, als des Hungers zu sterben. Der aber rührte sich nicht. Da legte nun Andreas seinen Stutzen auf ihn an; das Rad am Schlosse drehte sich um und um, Funken sprühten, der Schuß ging los, die Kugel trieb sicher über die Schlucht und der Knieende stürzte, ohne einen Laut zu geben, zusammen. Gleichzeitig aber ging von ihm ein Heller Schein aus und zum Himmel empor. Einige wollten gar einen Engel gesehen haben, der verklärt zu den Wolken aufflog.

Die Meinungen über die Tat des Mitterstorfer waren geteilt. Einzelne belobten Andreas, daß er den unglücklichen Hiesel rasch erlöst, der Pfarrer aber tadelte ihn mit strengen Worten, so daß Andreas sich getroffen fühlte und vom schweren Bewußtsein seiner gräßlichen Schuld, mit von bitterer Verzweiflung erfülltem Herzen nach Hause ging.

Wie groß aber war das Erstaunen Aller, als sie vom Grimming heimkamen und ihnen da Hiesel an der Hand seiner Hanni, festlich geschmückt, entgegentrat. Alles verwunderte sich, staunte und bestürmte den Totgeglaubten mit Fragen. Hiesel aber sagte: „Was die Menschen böse machen wollten, hat der Himmel gut gemacht. Mein Schutzengel hat mein Gebet am Grimming erhört und mich an seiner Hand herabgeführt auf einem andern Wege, als den Ihr kennt, und wenn Andreas auf mich geschossen, so hat er frevelhaft am Himmel sich vergangen, wie schon lange er getan, denn seine Werke sind die des bösen Feindes.“

Bei diesen Worten wandten sich die Leute alle um nach dem Mitterstorfer, aber der war verschwunden. Als er Hiesel erkannt, war er, die Folgen seines Bubenstückes fürchtend, nach Hause geeilt. Hier rief ihm der Rabe höhnisch zu: „Noch zwei und vierzig, noch zwei und vierzig!“ und er davon erschüttert bis ins Mark. Und als die Leute furchtbar erregt ins Haus stürmten, um den Bösewicht zu fangen, sahen sie den Mitterstorfer an einem Balken hängen, aus dem Rauchfange aber flog ein schwarzer Rabe; es war der Schrattel, der die Seele des Selbstmörders mit sich führte dorthin, wohin sie gehörte. Und im Augenblicke darauf war das schöne Haus zur einstürzenden Keusche geworden; des Mitterstorfers schöne Herde verendet und lag, ein Haufen von wüsten Knochen, auf der Erde; Wald und Feld verwandelten sich in öde Flächen und Halden voll Gestein und Unkraut, und all die Schätze des Andreas wurden zu Staub, Kohlen und Asche.

Hiesel ehelichte bald darauf sein Hannchen und fühlte sich glücklich in ihrem Besitze; auch sonst fehlte ihm nichts, denn der Herr von Praunfalk hatte ihn zum Wildmeister gemacht, und ein reicher Vetter hatte ihn zu seinem Erben eingesetzt. Die Verständigung davon hatte Hiesel eben damals erhalten, als er, der Totgeglaubte, den vom Grimming Kommenden so plötzlich und wunderbar entgegengetreten.

Nach Carl Spindler:
„Grimming-Jägersage.“
(Die Erzähler aus der Heimat und Fremde 1846)

*) Gleckwurm - eine Schlangenart.
**) Göd - Pate.
***) Vorschau - zweite Gesicht.
****) Wegnarren – eine Käfergattung.

Quelle: Johann Krainz, Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande, Bruck an der Mur 1880.
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