Fließendes Wasser löst Zauber

Beim Judenhof zu Goldegg hatten sich Zigeuner gelagert; unter ihnen war ein junges hübsches Weib. Der Werfer (einer der Knechte) "tratzte" (neckte) sie, die anderen warnten ihn und sagten: "Die tut dir etwas an, und du mußt ihr nachlaufen." - "Oho, i werd doch der Narrin net nachlaufen", meinte der Knecht. Dies war um die Zeit der Vormahd (Sonnwendzeit), und sie begannen zu mähen. Der Werfer mähte bis neun Uhr, dann sagte er zu den anderen: "pfüat Gott, i muaß richti der Narrin nachlaufen", ging heim und zog seine Sonntagskleider an. Da bat die Bäuerin, er möge ihr noch einen Dienst erweisen, nämlich auf die Wiese hinter dem Hause zu gehen, aber nicht über das Brückchen, sondern durch den Wassergraben zu waten. Er tat es, und als er drüben stand, dachte er, es würden ihn doch alle auslachen, wenn er der Zigeunerin nachliefe, und kehrte zu seiner Arbeit zurück. Das fließende Wasser hatte den Zauber gelöst.

Quelle: Marie Andree-Eysn, Volkskundliches. Aus dem bayrisch-österreichischen Alpengebiet, Braunschweig 1910, Nr. 27, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 83.