Aus heidnischer Vorzeit.

An die Zeiten germanischen Götterglaubens erinnern die Sagen von Riesen und wilden Männern und Frauen. Diese Gestalten waren in der Phantasie des Volkes aber noch lebendig, als längst das Christentum heimisch geworden war. Daher stattet die Sage diese Riesen auch mit ungeheuer langem Leben aus, so daß einer von ihnen den Sallesenwald neunmal absterben und wieder aufgrünen gesehen habe und es ihm noch erinnerlich gewesen sein soll, wie der Böcksteinkogel im Kötschachtale einem Kranawettvogel und das Schareck einem Wecken geglichen hätte. Die Stärke dieser Männer war ungeheuer und es war ihnen ein Leichtes, eine Pflugschar über die ganze Breite des Tales zu schleudern. Ja, als einmal einer dieser Riesen seinen Stock an das Haus des Reiterbauern am Badberge lehnte, wurde dieses in seinen Grundfesten erschüttert und Jahrzehnte lang zeigte man die Sprünge in der Mauer. Aber sie waren den Menschen, die sich zu ihren Füßen angesiedelt hatten, nicht gram. Wohl warfen sie oft Äpfel, die vor ihrer Höhle, dem Heidenloch, wuchsen, auf die Talwanderer hinab, sie zu schrecken, aber sie waren ihnen auch hilfreich und brachten ihnen oft Milch und Butter vor die Haustüre.

Eine hübsche Sage, ähnlich der vom Riesenspielzeug, erzählt: In den sogenannten Heidenlöchern oberhalb der Gasteiner Klamm unweit der "Brandstatt" lebte auch ein Riesenmädchen mit ihrem uralten, blinden Vater. Einst stieg dieses in die Felder des Tales hinunter und fand da ihr unbekannte Wesen, die es für Grasmücken hielt. Leicht war es ihr, einige zu fangen und in ihrer Schürze brachte sie diese in die Höhle zu ihrem Vater. Dieser betastete die in ihrer Angst zappelnden Dinge und sagte: "Kleiner Wildling, das sind keine Grasmücken, sondern unsere Nachkommen, Menschen genannt." Es waren eben Bauern, die gerade bei ihrer Feldarbeit unsanft zusammengepackt wurden.

Da gelüstete es den alten Riesen, die Stärke der Menschen zu prüfen und er sagte zu einem Bauern, der eben zitternd, um sein Schicksal besorgt, vor ihm stand: "Reich' mir einmal einen Finger, damit ich fühlen kann, wie stark euere Knochen sind."

Die wilde Maid aber winkte dem Bauern zu, es ja nicht zu tun und reichte ihrem Vater einen "Streicher", ein Stück Stahl, wie man es zum Wetzen der Messer verwendet. Der Riese nahm es, zerbrach den Stahl zwischen den Fingern und meinte: "Ihr habt doch ziemlich starke Knochen."

Darauf packte die Maid die Bauern wieder in ihre Schürze, trug sie zurück auf das Feld und ließ sie frei. Da dankten sie dem lieben Gott, daß sie so glimpflich davongekommen waren und liefen so rasch von dannen, daß sich das Wildfräulein vor Lachen schüttelte.

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Auch Schicksalsschläge waren den Riesen nicht erspart. Da war einst eine Riesin Mutter geworden, aber ihr Kind war siech und aussätzig.

Kein Mittel hatte geholfen, da riet ihr die Älteste aus ihrem Gesinde, das Kind in demselben Wasser zu baden, in dem gerade ein gesundes Menschenkind sein Bad genommen hätte. Die Bäuerin am Rain hatte gerade einem gesunden Knäblein das Leben geschenkt und badete ihr Kind. Da kam die Riesin mit der Bitte, sie solle auch ihr Kind in demselben Wasser baden lassen. Wohl versicherte sich die Bäuerin, daß ihrem Kinde nichts Böses geschehe und da die Riesen es meist gut mit den Leuten meinten, überließ die Bäuerin gern Wasser und Wanne. Nach dem sechsten Bade schon war das Riesenkind gesund und die Freude der Mutter unendlich. Da hieß sie die Bäuerin einen Wunsch aussprechen, der ihr zum Danke gewährt werden sollte.

Nun war deren größte Mühe, das Wasser zum Hofe hinaufzutragen, da beim Hause kein Wasser floß, und sie wünschte sich einen guten Brunnen. Kaum aber war der Wunsch ausgesprochen, floß auch schon beim Hause ein frischer Brunnen.

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Als das Geschlecht der Riesen ausgestorben oder sie alle weggezogen waren, wurden die Heidenlöcher die Wohnung für wilde Männer und Wildfrauen.

Aber die Zeiten waren oftmals gar schlecht für sie, so daß manche Wildfrau bei den Bauern in Dienst trat und sich recht brav in die Gesellschaft der Menschen fügte.

Bei einem Gasteiner Bauern war nun auch eine solche Wildfrau als Viehdirne eingestanden. Unter ihren Händen gedieh das Vieh wie nie zuvor und ein Wohlstand kam in das Haus, den sich der Bauer nie hätte träumen lassen.

Da ging er eines Tages an der "enterischen Kirche", einem Ort, von dem wir noch hören werden, vorüber und vernahm aus derselben eine Stimme, die ihm zurief, er möge der Viehdirne sagen, der "Waldadl" sei gestorben. Der Bauer, dem aus Geschichten von Wildfrauen dieser Name bekannt war, wunderte sich nicht wenig, eine solche im eigenen Hause zu haben, denn es war ihm an seiner Dirne gar nie etwas Besonderes aufgefallen.

Daheim angekommen, rückte er nicht sogleich mit seiner Botschaft heraus, sondern wartete bis nach dem Abendessen. Dann erst teilte er der Dirne die geheimnisvolle Botschaft mit. Kaum hatte sie diese vernommen, so stieß sie einen markerschütternden Jammerschrei aus und wollte sofort das Gehöft verlassen; der Bauer aber hielt sie zurück und bat sie, ihm wenigstens zu sagen, wie sie es gemacht habe, daß sein Vieh unter ihrer Obhut bei weniger Futter als früher mehr Milch gegeben habe. Darauf sagte die Wildfrau: "Gib Freitag und Sonntag kein Salz, so wird das Vieh alt; tu keinen krähenden Hahn aus dem Hause, lasse nicht zu spät auskehren und nicht zu spät die Arbeit aufhören, so hast du Glück und Segen."

Damit schied sie. Der Bauer befolgte die Ratschläge und hatte es nie zu bereuen.

Quelle: Gasteiner Sagen, Dr. Karl O. Wagner, Bad Gastein, 1926, S. 12 - 17.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Monika Maier, März 2005.