Der Tod in der Krausenau

Wenn man von Neukirchen durch die Dürnbachau nach Rosental geht, kommt man an ihrer Westseite auf eine große Wiese. Die Hälfte dieses Feldes war bis in die Achtziger-Jahre eine Au mit Erlen, Birken, Brombeer- und Hagebuttensträuchern: die Krausenau.

Vor vielen, vielen Jahren ging der Krausenbauer im Spätherbst noch einmal auf seine Alm im Trattenbachtal, um nach dem Rechten zu sehen bevor der Winter kam. Die Tage waren schon kurz und als er vom Rossberg wieder heimwärts wanderte zu seinem Hof in Rosental, schien schon der Mond. Er ging weglos durch seine Au, und das dürre Laub raschelte unter seinen Füßen. Da bemerkte er eine seltsame Gestalt, die, in einen dunklen Umhang gehüllt, mit einer Sense durch die welken Blätter mähte und sie dabei auf einen Haufen zusammenschob. Der Bauer dachte: "Was ist denn das für ein Spinner?" Den wollte er aus der Nähe sehen. Und jetzt konnte er auch verstehen, was die Gestalt murmelte: "Jeds Blattl a Mensch, jeds Blattl a Mensch..." Der Mäher richtete sich auf - und der Kraus stand vor einem Knochengerüst! Als der furchtlose Bauer nun sah, dass er den Tod vor sich hatte, erschrak er doch. Er fragte: "Bin i a dabei?" Mit seiner knöchernen Hand hob der Sensenmann ein Blatt auf, legte es zuoberst auf den Haufen und gab zur Antwort: "Ja, Kraus! Des Blattl bist du!"

Eiskalt rann es dem Mann über den Rücken. Doch so schnell wollte er sich nicht in sein Schicksal ergeben. Er sah sich die Sense genau an, dann sprach er zum Tod: "Deine Sense ist voll Scharten. Die hat ja überhaupt keine Schneid mehr. Geh mit mir, ich will sie dir dengeln! Nachher kannst wieder richtig dreinfahren." Das ließ sich der knöcherne Geselle nicht zweimal sagen! Und mit klappernden Schritten begleitete er den Krausenbauern zu seinem Hof. Dort gelang es dem klugen Mann, den ungewöhnlichen Gast in die Selchkammer zu locken. Rasch war die Tür verschlossen! So sehr der Eingesperrte auch bettelte und jammerte, der Kraus öffnete das Selchkammertürl erst wieder, nachdem ihm der Tod noch zwanzig Jahre Leben versprochen hatte. "No 20 Jahrl send ma gnuag auf dera buckligen Welt", sagte lächelnd der Bauer und entließ seinen unheimlichen Besucher.

Und zwanzig Jahre später ist der Krausenbauer an einem Morgen nicht mehr aufgewacht...

Quelle: Helene Wallner, Sagensammlerin und -führerin, Emailzusendung vom 3. Mai 2005