Die Kotrieshex

Früher glaubten die Menschen fest daran, dass für die großen Unwetter manchmal auch Wetterhexen verantwortlich wären.

Eine von ihnen soll vor vielen, vielen Jahren beim Aschbach im Wildalmgebiet ihr Unwesen getrieben haben.
Die Leute erzählten, dass die Kotriesbäuerin eine Hexe gewesen sei. Alle machten ein Kreuz, wenn sie der unheimlichen Alten begegneten. Die Weiberleut trauten sich nicht mehr in den Wald, um Beeren zu pflücken. Es konnte sein, dass die Kotrieshexe plötzlich aus dem Gebüsch schlüpfte und mit ihrem schiachen Gesicht die Frauen erschreckte. Wenn diese einen Schrei taten, konnte man das schadenfrohe Gelächter der Hexe weithin hören.

Einmal saßen die Almleute der Wildalm gemütlich vor ihrer Hütte und plauderten miteinander. Da sahen sie, wie gerade jemand durchs "Schlåglöggerl"* zur Alm herauf kam. Als die Gestalt nahe genug war, erkannten sie die Kotrieshexe. Das schwarze Kopftuch hatte sie tief ins Gesicht gezogen. Auf der Schulter trug sie eine Haue.

Die Almer wurden ganz still und bekreuzigten sich. Nur der junge Kühbub konnte seinen Mund nicht halten und rief ihr zu:

"Hoho! Wüllst eppa går an Wetterkarl obm Weana (Erdäpfel) graben?"

Aber ihm wurde angst und bange, als sie mit heiserer, krächzender Stimme zur Antwort gab:

"An a kuschzn Zeit weaschts scho sechn, wo und was i grab!"

Und sie ging kerzengerade auf das Aschbach - Wetterkreuz zu. Um das Kreuz, das ja geweiht ist, machte sie dann aber einen Bogen. Am liebsten hätte sie mit ihrer Haue das Kruzifix heruntergeschlagen. Die Hexe ging mit großen Schritten weiter zur Aschbachquelle. Als sie dort mit der Haue zu graben begann, bekamen es die Männer mit der Angst zu tun und flüchteten in die Almhütte.

Keinen Augenblick zu früh! Denn es brach ein Hochwetter** herein, wie es zuvor noch keiner in Neukirchen erlebt hatte: Auf dem Popberg schlugen Blitze in mehrere Zirmbäume ein, die Hagelkörner wurden so groß wie Taubeneier. Ungeheure Wassermassen ergossen sich aus den schwarzen Wolken. Unten im Tal brach der Aschbach aus seinem Graben. Er überschwemmte die Wiesen und Felder und riss Häuser und Brücken weg.
Die Kotrieshexe wurde danach nie mehr gesehen.

Die Menschen stellten noch ein zweites Wetterkreuz auf. Die beiden geweihten Kreuze, das Schönbachkreuz und das Aschbachkreuz wurden der Hexe wohl zuviel...

*Eine "Löggen" ist der Teil eines Zaunes, der auf Grund seiner Machart rasch geöffnet bzw. verschlossen werden kann.
**Hochwetter = Gewitter


Quelle: Helene Wallner, Sagensammlerin und -führerin, Emailzusendung vom 3. Mai 2005