DIE EULENMUTTER VON ZELL AM SEE

Einst lebte in Zell am See ein reicher Bauer, der wegen seines Fleißes und seiner Rechtschaffenheit im ganzen Ort und weit im Umkeis angesehen und beliebt war, während man seiner Frau nicht gerade das Beste nachsagte. Ihre Nachlässigkeit und Verschwendungssucht waren allgemein bekannt, besonders aber ließ sie es an der gebotenen Sorge und Liebe für ihre zwei Kinder gar oft mangeln. Da befiel den Bauern eine schwere Krankheit, der er in kurzer Zeit erlag.

Nun übernahm die Frau die Führung der Wirtschaft und hatte es durch ihren grenzenlosen Leichtsinn, mit dem sie das Geld mit vollen Händen um sich warf, bald soweit gebracht, daß Haus und Hof überschuldet waren und zuletzt versteigert wurden. Die Frau mußte zu fremden Leuten ziehen und war auf die Mildtätigkeit gutherziger Menschen angewiesen. Die Kinder zwang sie, betteln zu gehen, und was sie von ihren Bettelgängen nach Hause brachten, war bald wieder vertan. Doch nicht genug damit, peinigte die herzlose Mutter die armen Kinder auf alle erdenkliche Weise und überhäufte sie mit den rohesten Schmähworten, wenn sie einmal weniger Geld erbettelt hatten, als die Rabenmutter wünschte. An solchen Tagen erhielten die beiden auch nichts zu essen.

Eines Tages hatten die Kinder wieder nicht genug nach Hause gebracht und wurden daher von der Mutter zum Fasten verurteilt. Als dann der Hunger übermächtig wurde und die Kinder um ein Stücklein Brot baten, schalt die unmenschliche Mutter: "Wenn doch dieses unaufhörliche Gejammer ein Ende nähme! Ich wollte, ihr wäret von Stein, dann hätte ich endlich Ruhe!"

Kaum hatte sie diese lieblosen Worte gesprochen, als sich der Himmel plötzlich mit dichten schwarzen Wolken bedeckte. Ein fürchterliches Unwetter brach los, ringsherum zuckten die Blitze, und schwere Donnerschläge rollten ohne Unterlaß. Als das Toben der Elemente sich beruhigt hatte, lagen an der Stelle, wo eben noch die beiden Kinder gestanden waren, zwei Steinblöcke, die an Gestalt und Aussehen diesen ähnlich sahen. Ein Schreckensruf entrang sich dem Mund des unvernünftigen Weibes; jetzt erwachte die Mutterliebe in ihr, aber es war zu spät. Alles Jammern, Weinen und Klagen half nichts mehr; zu Stein geworden, wie sie vermessentlich gewünscht hatte, starrten ihr die beiden Kinder entgegen.

Eule © Maria Rehm

Eule
© Künstlerin Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm, Anita Mair-Rehm, für SAGEN.at freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt

Die Frau verschwand aus dem Ort. Einige Tage später aber sahen die Dorfbewohner eine Eule, die die beiden Steinbilder unaufhörlich umkreiste und dabei ein mißtöniges, unheimliches Geschrei ausstieß. Es war die unglückliche Mutter der beiden bedauernswerten Kinder, die verurteilt ist, bei Tag als Eule die Steine zu umflattern, bei Nacht aber in menschlicher Gestalt ruhelos umherzuwandern. Mancher späte Wanderer soll gesehen haben, wie sie in finsteren Nächten klagend bei den Steinen umherhuschte.


Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite 355