Die Hunde von Dorfheim

Von Saalfelden eine Viertelstunde entfernt erhebt sich auf mäßiger Höhe Schloß Dorfheim, mit Ringmauern und Ecktürmen wohl versehen. Ehedem hieß das Schloß der "Turm zu Dorf" und war Eigentum der Ritter von Hunt. Von diesen gibt uns die Sage folgende Kunde.

Um das Jahr 887 wohnte auf dem Schlosse ein mächtiger Gauherr, Isenbart mit Namen, der in Frau Irmentritt ein gar schönes, aber auch stolzes Weib besaß. Einst zog der Ritter aus auf einen Strauß und ließ seine eheliche Gesponsin, welche sich eben gesegneten Leibes befand, auf seiner festen Burg zurück, inmitten treuer Diener.

Eines Tages lustwandelte die Burgfrau vor dem Schlosse, da trat ein armes Weib, das eben erst von Zwillingen genesen war, an sie heran und bat flehend um eine Gabe. Frau Irmentritt aber verweigerte ihr nicht nur diese, sondern ließ sie mit gar harten Worten an: "Nimmer ist es möglich, daß du von einem Manne diese Kinder empfangen! Mir deucht, du bist eine treulose Ehebrecherin! Deshalb hebe dich von dannen und lasse nie mehr vor mir dich blicken!" Da stieg dem schwer gekränkten Weibe der Zorn, und heftig rief sie: "Strafe dich Gott, daß du statt zweier zwölf Kinder zugleich genesest, auf daß dir klar würde, wie ohne Sünde ein Weib von einem Manne durch Gottes Verhängnis mehrerer Kinder Mutter werden kann!"

Mit diesen in höchster Erregung gesprochenen Worten entfernte sich die Bettlerin. Frau Innentritt fühlte aber bald darauf die Stunde herannahen, da sie Mutter werden sollte. Zu ihrem Entsetzen gebar sie zwölf Kinder, der Bettlerin Fluch war rasch in Erfüllung gegangen. Da sie sich früher schon auch gegen ihren eigenen Gemahl in so strenger Weise wie gegen das arme Weib ausgesprochen hatte, so fürchtete sie nun dessen ganzen Zorn und gebot in ihrer Angst einer Magd, elf der Kinder in einen Korb zu legen und zu ertränken. Sollte ihr zufällig auf dem Wege zum Wasser der Ritter begegnen, so solle sie sagen, sie trüge eben erst geworfene junge Hunde zum Flusse.

Wirklich wollte es das Schicksal, daß die Magd dem Grafen in den Weg lief. Er hielt sie an, frug, was sie im Korbe trüge, und schlug, da er sie plötzlich verlegen werden sah und die ihm stotternd erteilte Antwort unwahr erschien, den Deckel des Korbes zurück. Mit Schaudern erblickte er darinnen die elf nackten Knäblein. Die Magd, von Todesangst erfaßt, warf sich ihm zu Füßen und erzählte ihm den ganzen Hergang. Der Graf gebot ihr strenges Schweigen und brachte die Kinder in das entlegene Gehöfte eines seiner Untertanen, dessen Ehefrau er die Kindlein in die Obhut übergab; dann ging er auf sein Schloß und ließ sich auch nicht das geringste anmerken, daß er um alles wisse.

So verfloß eine Reihe von Jahren. Der zurückbehaltene Knabe wuchs und blühte kräftig auf, desgleichen seine elf Brüder. Da nun die Knaben das zwölfe Lebensjahr erreicht hatten, veranstaltete Isenbart ein großes Festmahl, zu dem er viele seiner Freunde lud und auch die Knaben insgeheim beschied, welche er ganz gleich mit dem zwölften kleiden ließ. Während des Mahles, an welchem
Irmentritt, die Herrin der Burg, gleichfalls teilnahm, warf Isenbart gesprächsweise die Frage auf, welche Strafe einer Mutter gebühre, die eines oder mehrere ihrer eigenen Kinder ermordet habe. Darauf sprach Frau Irmentritt, zwar mit innerem Beben im Bewußtsein der eigenen Schuld, aber doch in stolzer Sicherheit: "Die fürchterlichste Strafe! Man muß die Kindesmörderin verbrennen! "

Da öffnete sich auf einen Wink des Grafen die Türe, welche in das anstoßende Gemach führte, und heraus traten elf Knaben, welche dem zwölften, am Tische sitzenden in allem und jedem glichen. Wie vom Donner getroffen, stürzte Frau Innentritt entseelt vom Stuhle, der Schreck hatte sie getötet.

Die so wunderbar geborenen und vom Tode erretteten Knaben nannte man fortan die Hunde, später die Herren von Hund oder Hunt. Sie blühten fort in zahlreich verzweigten Geschlechtern. Ein Gemälde in einem der Säle zu Dorfheim zeigt noch die Sage ihrer Abkunft.

Quelle: R. von Freisauff, Salzburger Volkssagen, Bd.2, Wien/Pest/Leipzig 1880, S. 460ff, zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 140.