ZWEI SELTSAME LUNGAUER

Vor etwa 100 Jahren lebte in Thomatal der „Feder-Hans". Er stammte aus Kärnten, war in jungen Jahren gegen seinen Willen in des Kaisers Rock gesteckt worden, hatte aber vor dem Soldatenleben die Flucht ergriffen. Später wurde er Leinenweber, doch zumeist streifte er in den Wäldern und Bergen umher und verschaffte sich seinen kargen Unterhalt durch Wildern.

Der Feder-Hans verstand sich, wie erzählt wird, auf das „Anbannen". Einmal bannte er in Gegenwart des alten Gratzbauern am Hanslberg, Johann Glanzer (gestorben 1877) einen Rehbock fest; das Tier konnte nicht mehr von der Stelle und litt solche Qual und Angst, daß ihm die Tränen in hellen Bächlein aus den Augen rannen. Da fragte der Gratz-bauer den Hans, ob er auch Menschen anzubannen vermöge. „Das wohl", antwortete dieser. Begierig, dies zu erleben, bot ihm nun der Bauer fünf Gulden an, wenn er ihn wirklich festbanne. Doch der Hans schlug das Anerbieten aus, weil das eine große Sünde sei und die könne er nicht um Geld auf sich nehmen.

Auch vom Körbler-Simon erzählte man sich manche wundersame Geschichte. Er hat gleichfalls vor etwa 100 Jahren gelebt und sich und seine Mutter vom Korbflechten und Korbflicken ernährt. Der Simon kam im ganzen Lungau herum, längere Zeit wohnte er auch beim Raner in Thomatal. Oberhalb der Gratzer „Pressing" befindet sich eine Felsenhöhle, in der er sich oft längere Zeit aufhielt. Er war ein Sonderling und schien schwachsinnig zu sein, hatte aber, so wird erzählt, eine geheimnisvolle Gabe, im Gebirge Erzadern zu finden. Einmal brachte der Simon zum Raner einen faustgroßen Klumpen Bleierz, das er aus dem Rinnsal des Burgbaches zutage gefördert hatte; am Herdfeuer schmolz er es und erhielt so festes Blei zum Gewehrkugelgießen.

In der Ranerwiese wußte er eine Goldader, die nach seiner Aussage so flach unter dem Boden liegt, daß wühlende Schweine sie bloßlegen könnten. Die betreffende Stelle heißt noch heute „bei der Goldader". Der Simon behauptete oft, der Schwarzenberg sei in seinem Inneren unermeßlich reich an Gold; er sei es wert, daß man ihn mit goldenen „Ranteln" (Schindeln) einzäune.

In den Ganslberger Wänden, wo er oft tagelang hauste, befinden sich nach seinen Angaben Stellen voll schweren Silbererzes. Einst machten sich mehrere Lungauer Bergwerksherren auf die Suche nach neuen Eisenerzgängen im Schönfeld in Bundschuh. Sie nahmen den Körbler-Simon mit, daß er ihnen ergiebige Erzlager verrate. Dieser zeigte ihnen auch eine Stelle am Altenberg; doch die Herren glaubten ihm nicht und trieben den Stollen um ein paar hundert Klafter höher in den Berg und fanden — meist taubes Erz. Nun luden sie ihn ein zweitesmal ein, sie zu begleiten. Bei der Kalten Kandl — einem Brunnen am Wege in die Feldseite — hielt man Rast und nahm eine Jause. Die Herren schenkten sich aus mitgebrachten Flaschen Wein in Gläser und ließen sich den edlen Tropfen munden; sie wollten auch dem Simon davon geben, ekelten sich aber, ihn aus ihren Gläsern trinken zu lassen, deshalb sagten sie lachend, er soll seinen Hut aufhalten. Erzürnt und gekränkt erwiderte der Simon: „Ihr Herrn, wenn euch vor mir graust, so graust auch mir vor euch!" Sprach's und war auf Nimmerwiedersehen fort. Der Bundschuher Bergsegen aber ging von Jahr zu Jahr zurück und ist jetzt schon lange ganz erloschen.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 46