WENN DIE TAUERNSTRAßE GRÜN WIRD

In den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts reisten einmal fremde Pilger mit Krummstab und Kutte durch den Lungau. An einem Sonnabend im Sommer kamen sie zum Dorfe Stranach bei Mariapfarr und ließen sich dort auf einer Ruhebank nieder. Da schon Feierabend war, versammelten sich zahlreiche Dorfbewohner um die fremden Männer und horchten ihren Schilderungen von den fernen Ländern, die sie bereist. Besonders viel erzählten sie von ihrer Pilgerfahrt ins Heilige Land, von der Stadt Rom und anderen Gegenden und von Wallfahrtsorten, die sie besucht. Sie sagten auch zukünftige Dinge voraus und redeten von den schlechten Zeiten, die kommen werden. Wenn man, so sagten sie, anfängt, buntfarbige Kleider zu tragen, wenn man auf weite Entfernungen miteinander reden, ohne Pferd fahren und wie ein Vogel durch die Luft fliegen wird, dann kommen die schlechten Zeiten. Dann werden große Umwälzungen und Kriege sein, und allenthalben wird große Not herrschen. Religion und Glaube werden im Volke immer mehr abnehmen, so daß sie zuletzt in einem Fingerhut Platz finden könnten. „Ihr", so sagten sie zu den Umstehenden, „werdet dies nicht mehr erleben; aber eure Kinder und Kindeskinder." Und zu sieben jungen Burschen, unter denen der Suppan-Hauser, der Friml-Ruap und der Vater des jetzigen Holzerbauern in Steindorf sich befanden, sagten sie: „Einer von euch wird bald zur großen Armee einrücken!" Die Burschen aber verstanden nicht, was die Pilger damit meinten. Aber schon in der darauffolgenden Woche wurde einer von ihnen beim Holzfällen von einem Baumstamme erschlagen.

Dieser Prophezeiung sei auch eine andere über den Lungau angefügt. Nach ihr soll der Lungau einmal ganz entvölkert werden und veröden, die Tauernstraße soll sich begrünen und verfallen und der Lungau eine steirische Alm werden.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 50