MARIA HOLLENSTEIN

Tief drinnen im einsamen Kendlbrucker Graben liegt das liebliche Wallfahrtskirchlein Maria Höllenstein. Zahlreiche Gläubige aus dem Lungau und aus der angrenzenden Steiermark besuchen alljährlich dieses Heiligtum. Auch viele Brautpaare werden hier getraut und von den Ehen, die hier geschlossen werden, sagt man, sie seien besonders glücklich. Das Gnadenkirchlein ist reich an schönen Votivbildern und Danksagungen, auch mancher Brautschmuck hinter Glas und Rahmen befindet sich darunter. Dieses Wallfahrtskirchlein wurde im Pestjahre 1714 eingeweiht. Die Pest soll der Sage nach als ein altes häßliches Weib ins Land gekommen sein. Hieher in diesen stillen Waldwinkel aber ist sie nie gedrungen, und so ist eine Jungfrau, die mit ihrem Herzallerliebsten zu diesem Gnadenkirchlein gepilgert kam, als einzige von ihr verschont geblieben. In der Nähe des Kirchleins sprudelt eine Quelle, darin sich die Wallfahrer gerne Gesicht und Augen waschen; dies soll heilbringend sein und bei allen Augenkrankheiten wirken. Es geht auch die Sage, daß sich eine Burgfrau von Ramingstein auf der Jagd verirrt habe und bei dieser Quelle aufgefunden wurde. Zum Andenken ließ sie nun an dieser Stelle eine der Muttergottes geweihte Kapelle errichten, aus welcher später das heute viel besuchte Wallfahrtskirchlein Maria Hollenstein entstand. Auch ein Erinnerungsstein, darauf sich manches Brautpaar, das sich hier gefunden, verewigt hat, ist hier gestanden. Er wurde aber schon vor Jahren, als bei einem Wolkenbruch der reißende Gebirgsbach im Kendlbrucker Graben aus den Ufern trat, weggeschwemmt.

Eine andere Sage berichtet folgendes:

Eine Stunde vom Pfarrdorfe Ramingstein entfernt, auf der Straße nach Steiermark, steht eine halbgemauerte Kapelle; sie bewahrt das Gnadenbild „Maria mit dem Jesukindlein". Nächst der Kapelle befindet sich ein niederer, mit Gras überwachsener Felsen, auf dem zwei Vertiefungen zu sehen sind; unter dem Felsen aber sprudelt eine Quelle hervor. Von diesem Orte erzählen sich die Leute, die Gottesmutter habe sich mit dem Jesukindlein auf dem Felsen niedergelassen, das Kindlein entkleidet und dieses in der Quelle gebadet. Zum Zeichen ihrer Anwesenheit seien an der Stelle, wo sie mit dem Jesukinde gerastet, Eindrücke in Form von Sitzen im Felsen entstanden und auch die Quelle habe seither eine heilbringende Kraft gegen alles Augenübel erlangt. Der fromme Eifer zahlreicher Wallfahrer ließ in der Nähe die anfangs ganz hölzerne Kapelle entstehen und mit einem zwei Schuh hohen Liebfrauenbild zieren.

Um das Jahr 1714 begannen sich nun in Hollenstein zahlreiche Gebetserhörungen zu ereignen, und so ordnete der Erzbischof die Übertragung des wundertätigen Bildes in die nächste Kirche an. Die Nachbarschaft von Kendlbruck bat jedoch inständig um Belassung des Bildes und der Kapelle; der Bitte wurde unter der Bedingung entsprochen, daß alles Opfer für die arme Kirche Ramingstein verwendet werden soll. Im Jahre 1738 wurde eine zweite, ganz gemauerte Kapelle, sechs Schritte von der halbhölzernen entfernt, aufgeführt.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 60