Die St. Leonhardskirche in Lungau

Im Jahre 1421, zur Zeit, da der nachmalige Pfarrer Konrad Vikar zu Tamsweg war, verschwand die aus Holz geschnitzte Statue des hl. Leonhard vom Altar auf der Emporkirche in Tamsweg und wurde darauf an einem Kranawittbaum auf dem Bühel unweit des Marktes aufgefunden. Man trug sie in die Pfarrkirche zurück. Sie verschwand abermals und wurde wieder an dem erwähnten Baumstamm am Bühel entdeckt. Darauf wurde die Statue in Gegenwart des Erzpriesters von St. Michael, des Vikars Niklas von St. Margarethen, des Pfarrers von Tamsweg und mehrerer Einwohner unter Sperre und Siegel in einer Truhe verwahrt. Trotzdem kam sie wieder aus der Truhe abhanden und wurde an dem Kranawittbaum am Bühel vorgefunden. Das erweckte in der Bevölkerung den festen Glauben an die Wunderkraft der Statue, und da bald darauf mehrere wunderbare Heilungen von Kranken vorgekommen, die sich zu dem Gnadenbilde geflüchtet hatten, so wurde mit dem Baue der Kirche begonnen.

Da ereignete es sich während des Baues, daß aus einer nahegelegenen Felsenöffnung zwei stattliche schwarze Ochsen hervorkamen und täglich zur gleichen Stunde die schwersten Lastfuhren verrichteten. Die Stärke der beiden Ochsen war so groß, daß sechs gewöhnliche Lungauer Ochsen nicht imstande waren, die Last zu ziehen, welche die Wunderochsen mit Leichtigkeit allein zogen. Dabei waren die letzteren, wie die Sage berichtet, so gescheite Tiere, daß sie, wenn es am Vortage eines Sonn- und Feiertages zu Tamsweg um ein Uhr mittags den Feierabend einläutete, mitten im Zuge stehenblieben und keinen Schritt mehr weitermachten. Als der Kirchenbau vollendet war, kehrten die beiden schwarzen Ochsen wieder in ihr Felsenloch zurück und wurden seither nicht mehr gesehen.

Die Kirche ist aus sogenanntem Tuffstein erbaut, welcher einem Steinbruch oberhalb St. Leonhard am Schwarzenberg entnommen war. Nach der Sage war in dem Augenblick, als die Kirche fertig dastand, auch nicht das kleinste Stückchen Tuff mehr zu finden. Seither ist auch im ganzen Lungau kein Tuff mehr zu bekommen.

Quelle: R. von Freisauff, Aus Salzburgs Sagenschatz, Salzburg 1914, S. 184 f, (gekürzt), zit. nach Leander Petzold, Sagen aus Salzburg, München 1993, S. 273.