EIN ZIRBENBAUM BRINGT ERLÖSUNG

Nach einer anderen sehr alten Volkssage muß das Thurnschallweibl in dem Gemäuer dieses zerfallenen Schlosses solange schmachten, bis es erlöst wird. Dies geschieht dann, wenn die auf den Ruinen der Burg wachsenden Zirben so groß sind, daß daraus Bretter geschnitten und aus diesem Zirbenholz eine Wiege gemacht werden kann, in welche das erstgeborene Kind einer Familie gelegt wird. Das in dieser Wiege heranwachsende Kind, gleich ob Knabe oder Mädchen, wird dann das Thurnschallweibl erlösen.

Dazu wußte ein Bauer aus Althofen bei Mariapfarr folgendes zu berichten:

Vor vielen vielen Jahren ging einmal mein Urgroßvater durch den Wald. Da hörte er auf einmal helles Jauchzen, Singen und Jubilieren, das von den Tannenwipfeln hernieder in die Stille des Waldes drang. Verwundert blieb er stehen und blickte umher. Da sah er hoch droben auf dem Wipfel eines Baumes ein Männlein sitzen, von dem das fröhliche Gejauchze kam. Der Urgroßvater fragte erstaunt den Kleinen, was es denn gebe, daß es gar so lustig sei ? Da antwortete das Männlein: „Heute ist ein Freudentag für uns, denn heute ist der Zirbenzeischken *) gefallen, der uns die Erlösung bringt. Aus diesem Samen wird der Baum wachsen, davon die Bretter geschnitten werden, aus denen die Wiege gemacht wird, in welcher das Kind heranwächst, das uns erlösen wird. Daher freuen wir uns, denn unsere Erlösung naht! Juhui!" Und fort jubelte das Männlein. — Der Zirbenzeischken ist zwar gefallen, aber wie viele Jahre werden noch vergehen müssen, bis der Baum so groß geworden ist, daß daraus die Bretter geschnitten und die Wiege gemacht werden kann ?!

*) Fruchtzapfen der Zirbe.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 82