DIE RÖMER IM LUNGAU

Mit der Besetzung der Alpenländer um Christi Geburt geriet auch der Lungau unter römische Herrschaft und in den Bannkreis ihrer Kultur. Bei „In muris", dem heutigen Mauterndorf, trafen sich zwei Straßenzüge — der eine kam von Kärnten und der andere von Steiermark her — um hierauf vereint den Tauern zu überqueren. Nahezu ein Dutzend römischer Meilensteine wurde allein im Lungau gefunden, aber auch andere Ausgrabungen zeugen von dem Aufenthalt der Römer im Lungau. Manche Erzählung geht um den Römerweg, welcher einst von Süden her durch den Leißnitzgraben östlich von St. Mar-garethen über das düstere, unheimlich schwankende Moor führte. In ihm sollen einst römische Soldaten, die vom Wege abgekommen waren, versunken sein. In „In muris" soll ein Kastell gestanden sein und ein Provinzverwalter seinen Sitz gehabt haben. Ein verwitterter Gedenkstein im Schloß Mauterndorf kündet davon "mit folgender Inschrift: „Des Konstantius Voticius 18 Jahre gewesen Landvogt setzten diesen Stein Voticius Cupitus und Voticia Ategenta seine Eltern zu seinem und ihrem Angedenken."

Weitere Funde bei Mariapfarr, Tamsweg, Moosham, St. Mar-garethen und St. Michael deuten darauf hin, daß auch in diesen Orten einst römische Ansiedlungen bestanden haben *). Besonders bemerkenswert ist der bei Sankt Martin gefundene sogenannte Mithrasstein. Die Römer haben die aus Persien stammende Verehrung des Sonnengottes Mithras auch in unserem Lande eingeführt; in den Legionslagern war der „unbesiegbare Sonnengott Mithras, der Schützer des Reiches", im 3. Jahrhundert die am meisten verehrte römische Gottheit. Ein derartiges Heiligtum soll bei Sankt Martin gestanden sein.

Bei der Fahrt über den Radstädter Tauern sind noch da und dort vereinzelt Meilensteine zu sehen. Die Römer maßen die Entfernung in Doppelschritten. Ihrer tausend bildeten eine Meile und in diesen Abständen wurden die fast mannshohen Steine gesetzt. Sie alle nahmen ihren Ausgang vom goldenen Meilenstein am Forum zu Rom; von dort aus wurden alle Entfernungen im weiten Römischen Reiche gemessen. Beim Laglerbauer in Tweng waren noch vor etlichen Jahrzehnten die Ruinen eines alten Gebäudes zu sehen, es wurde „das alte Schloß im oberen Küstenfeld" genannt. Dieses uralte Gebäude mit seinen massigen Mauern soll der Sage nach eine römische Taverne — ein Gasthaus — gewesen sein und hier, in der Schattseite des Twenger Tales, soll auch die Straße vorbeigeführt haben. Ein silbernes Zaumzeug, das man an dieser Stelle aus dem Schutt grub, wird den Römern zugeschrieben. Unterhalb von Schaidberg befindet sich ein weißer Kalksteinfelsen, von ihm sollen die Römer das Material für den Straßenbau und für die Meilensteine gebrochen haben. Da und dort ist am Tauern noch der alte Straßenkörper ganz deutlich zu erkennen und vor mehr als hundert Jahren wurden beim Tauernfriedhof Münzen, Waffen und verschiedene Werkzeuge ausgegraben — alles Zeugen der weltumspannenden Römerherrschaft.

*) Auf der sogenannten „Geschnittenen Baumtratte im Groanwalde" oberhalb Sankt Margarethen sollen die Römer Kohlen gebrannt haben.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 24