DER MEISTERSPRUNG

Als die St.-Leonhards-Kirche, dieses erhabene Werk der gotischen Baukunst, vollendet war und in die Täler des Lungaues niedergrüßte, da stieg der Baumeister auf die Spitze des Turmes und sprach also: „Nun ist dieses Gott und dem heiligen Leonhard zur Ehre erbaute Gotteshaus vollendet und zum Zeichen, daß kein Fehl noch Tadel an ihm ist, stürze ich mich von der Höhe des Turmes, und es wird mir nichts geschehen." Getan, wie gesagt! Ehe die erschrockenen Zuschauer es verhindern konnten, hatte der Verwegene auch schon den Turm erklettert und den gewaltigen Sprung in die Tiefe getan. Doch, o Wunder! Völlig unversehrt erhob er sich am Fuße des Turmes! Nur den kleinen Finger hatte er sich verrenkt — ein Zeichen, daß ein Nagel am Dachsparren krumm eingeschlagen war.


Quelle: Michael Dengg, Lungauer Volkssagen, neu bearbeitet von Josef Brettenthaler, Salzburg 1957, S. 59